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Atomvulkan Golkonda

Atomvulkan Golkonda

Titel: Atomvulkan Golkonda
Autoren: Arkadi & Boris Strugatzki
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größtenteils noch anders, und der Hauptheld (Bykow) ist noch Hauptmann. Boris Strugatzki schreibt, er wisse nach wie vor nicht, wozu die Umbenennung aller Personen verlangt wurde; die Gründe lassen sich aber durchaus vermuten. Die beiden Geologen Jurkowski und Dauge hatten anfangs nicht nur andere Familiennamen, sondern hießen mit Vor- und Vatersnamen Alexander Sergejewitsch (wie Puschkin) und Lew Nikolajewitsch (wie Tolstoi), was ja doch etwas gesucht wirkt. Brisanter waren Überschneidungen mit den Namen führender sowjetischer Politiker: Beispielsweise hieß Michail Antonowitsch Krutikow ursprünglich Michail Iwanowitsch wie Kalinin, der unter Stalin das nominelle sowjetische Staatsoberhaupt gewesen war (während seine Frau als Geisel in einem von Stalins KZs saß); Bykow hieß anfangs Gromyko wie der sowjetische Außenminister. Erregte auch nur einer dieser Namen Anstoß, musste das zwangsläufig weiträumige Umbenennungen nach sich ziehen, denn der Zensor durfte ja nicht sagen, dass just dieser eine Name problematisch war. {29}
    Die Strugatzkis haben dieses Kapitel seinerzeit selbst aus dem Roman genommen (weshalb es auch nicht in der jetzt kanonischen Fassung auftaucht) und einzelne Passagen davon an anderen Stellen eingefügt. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Bykow hier in eher abstrakter Form, im Nachhinein, mit einer fremden Raumschiffhavarie konfrontiert wird, etwas Ähnliches aber in Teil 2 dramatisch wesentlich besser eingebunden ist. En passant fielen mit der Streichung des Kapitels auch wieder ein paar Todesopfer weg. Weg fiel allerdings auch die Szene, die das merkwürdig gespannte Verhältnis zwischen Bykow und Jurkowski plausibel macht, und weg fielen Jukowskis Beweggründe, die denn doch etwas sehr deutlich Hochmütig-Elitäres an sich haben – wie es sowjetische Kosmonauten natürlich nicht an den Tag legen durften ... Jurkowski ist im gesamten Frühwerk der Strugatzkis der am besten getroffene, einprägsamste Charakter. Er ist eine der Zentralfiguren der Bykow-Trilogie, und man hat sich angewöhnt, ihn zu deren positiven Helden zu zählen (auch im russischen Original steht »Fant« immer in Anführungen, als sei es nicht ganz ernst gemeint). Er ist aber auch der widersprüchlichste. An seinem Beispiel werden die Strugatzkis 1962 gegen Ende der Praktikanten die Sinnlosigkeit der Aufopferung im Namen der Wissenschaft demonstrieren (zumal Jurkowski dort nicht nur sich selbst, sondern auch einen Freund opfert).
    Es stand den Helden der Strugatzkis noch bevor, sich in den folgenden Werken von dem einen oder anderen Klischee zu befreien, das sie als Erbteil der älteren SF mit sich herumtrugen, etwa von den kommunistischen Deklamationen oder dem mitunter sehr militärisch wirkenden Tonfall, der ihnen auch nach der »Zwangsversetzung« in den Zivilistenstand geblieben war. Die sowjetischen Lektoren und Zensoren haben diesen Eindruck – ganz gegen ihre erklärte Absicht, das Militärische zurückzudrängen – noch verstärkt, indem sie besonders im dritten Teil längere Gesprächspassagen (sowie die delirierenden Gedankengänge Bykows beim Rückmarsch) kürzten oder strichen, die nicht unmittelbar der Erforschung der Venus und der heldenhaften Pflichterfüllung gewidmet waren, Passagen, in denen sich die Helden als ganz gewöhnliche Menschen mit unterschiedlichen Eigenheiten und Interessen erweisen. {30} Trotz den Kürzungen und Nivellierungen fielen die Helden der Strugatzkis schon in der sowjetischen Ausgabe dadurch auf, dass sie fluchten, auch als Atheisten in Redewendungen Gott erwähnten, private Antipathien hegten, sich stritten und sogar prügelten, selbst in dramatischen Situationen nicht permanent heroisch waren, unglücklich verliebt waren in eine Frau, die das sichtlich nicht verdiente (auch daran wurde gekürzt), sich auch mal (wie Bykow im ersten Teil) ausgesprochen dämlich verhielten ... Kurzum, sie benahmen sich nicht wie die vorbildlichen Pappfiguren der Kinderliteratur »für das obere Lesealter« und nicht wie die (auch bei Jefremow vorkommenden) edel-ernsthaften Menschen der Zukunft, sondern wie Sowjetbürger der fünfziger, sechziger Jahre. Die sowjetischen Kritiker reagierten darauf zwiespältig (es gab ja auch allerhand kluge darunter), die sowjetischen Leser umso erfreuter. Mit ihrem (später auch expressis verbis erklärten) Prinzip, die kommunistische Zukunft mit realistischen Menschen der Gegenwart zu bevölkern, haben die Strugatzkis im Atomvulkan Golkonda einen der
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