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Atomvulkan Golkonda

Atomvulkan Golkonda

Titel: Atomvulkan Golkonda
Autoren: Arkadi & Boris Strugatzki
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durch die realistische Schilderung von Leiden und Entbehrungen und die ungewöhnlich hohe Zahl der Todesopfer. Ich erinnere mich deutlich, dass mir der Atomvulkan ebendarum nicht so recht gefiel, als ich ihn 1961 zum ersten Mal las – dergleichen war ich nicht gewöhnt, denn verdientermaßen umzukommen hatten die westlichen Spione, Agenten etc., und wenn sich einer von unseren eigenen Raumfahrern heldenhaft opferte, um die Genossen (oder auch die von ihren Auftraggebern in die Bredouille manövrierten westlichen Kollegen) zu retten, dann wurde das erstens nicht so en détail dargestellt, und der Held bekam am Ende ein imposantes Denkmal. Das war das Mindeste, was ich als Leser erwarten durfte.
    Der Roman ist einfach nicht für den Zehnjährigen geschrieben, der ich damals war. (Da sterben ja nicht nur zwei von den Haupthelden, sondern nebenbei wird auch noch der Tod ziemlich vieler anderer Raumfahrer mitgeteilt; in den ersten Fassungen waren es noch mehr – beispielsweise starb auch Dauge, ehe Bykow und Jurkowski den Rückmarsch antraten –, und in Arkadi Strugatzkis Vorarbeit ›Die Ersten‹ scheinen überhaupt einer nach dem anderen alle umgekommen zu sein.) Auch die permanenten Forderungen der sowjetischen Lektoren und Gutachter, die Zahl der Opfer zu verringern und generell optimistischer zu schreiben, erklären sich zum Teil aus der Tatsache, dass das Buch im Moskauer Kinderbuchverlag erschienen ist. Freilich, an sich hatte das nicht viel zu besagen: Dort sind eine Menge SF-Bücher herausgekommen, die definitiv nicht für Kinder gedacht waren.
    Boris Strugatzki erwähnt in seinem Kommentar einen weiteren Kritikpunkt der Verlagsobrigkeiten, genauer gesagt, einen Komplex von Empfindlichkeiten, die nur zum Teil an die Oberfläche drangen. Die sowjetische SF hat in der Zeit des Chrutschtschow’schen Tauwetters merklich von den sowjetischen Raumfahrterfolgen profitiert; die schon vorher zaghaft sprießende, aber mit den Vorgaben der alten »Nahphantastik« schlecht vereinbare Raumfahrtthematik bekam mächtigen Auftrieb, und die Literaturideologen betrachteten das ganze Genre freundlicher. Dass sie sich da die Euphorie des internationalen Prestigegewinns nicht von imaginierten Raumschiffhavarien vermiesen lassen wollten, ist verständlich; die Abneigung gegen Militärs in der sowjetischen Raumfahrt-SF hingegen muss eine kurze Episode gewesen sein, denn spätestens seit dem Flug Gagarins wusste alle Welt, dass Kosmonauten normalerweise einen Offiziersdienstgrad hatten.
    Dabei boten sich die Militärs als Helden nicht nur an, weil sich Arkadi Strugatzki in diesem Umfeld auskannte – die bewaffneten Organe (inklusive der »Miliz« genannten Polizei und der Grenztruppen) stellen in der Stalinzeit häufig die Protagonisten sowjetischer SF, von der in den dreißiger Jahren oft als militärischer Spaziergang verharmlosten Befreiung der westlichen Klassenbrüder bis zum Kampf gegen die allgegenwärtigen Spione und Agenten. Vor allem aber der Zweite Weltkrieg und die Literatur darüber haben beide eine unauslöschliche Spur im Kollektivbewusstsein nicht nur der Sowjetbürger, sondern sogar noch der heutigen Russen hinterlassen. Sowohl die Künste als auch die alltägliche Propaganda schufen eine Vielzahl von Paradigmen heldenhafter Aufopferung und Behauptung, die jeder kannte und niemand hinterfragte – der Soldat, der sich vor die gegnerische Schießscharte wirft, der Pilot, der beide Beine verloren hat und immer noch ein Flugzeug steuert {25} ... In der russischen Literatur überlebt haben die besseren, weil realistischeren Kriegsromane (etwa von K. Simonow), wo Heldentaten, wenn überhaupt, eher wider Willen vollbracht werden; zahlreicher waren seinerzeit aber natürlich jene, in denen es nichts Schöneres gab, als »für Stalin, für die Heimat« zu sterben. Im Atomvulkan findet man merkwürdigerweise beides – einerseits den Realismus, andererseits eine Missachtung des Menschenlebens (nicht zuletzt des eigenen), die im Krieg erklärlich war {26} , in der prospektierten Zukunftswelt aber eigentlich ganz unangemessen sein müsste, weil es ja nur noch um wirtschaftliche und wissenschaftliche Ziele geht. Die Strugatzkis haben sich von dieser Art Heldentum sehr bald schon distanziert, so 1962 in Praktikanten .
    Ein anderes Paradigma der sowjetischen Literatur war der Produktionsroman, der davon handelte, wie ein wichtiges Projekt der sozialistischen Wirtschaft gegen alle möglichen Widerstände – der Natur, des
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