Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Beate Rothmaier
Vom Netzwerk:
auch aus der Flasche trinken könne, das sei sowieso die einzig bodenständige Art, sein Bier zu trinken, und, mit einem schnellen Blick auf mich, die basisdemokratische Variante sozusagen. Sie lachte mit einem großen Mund, in dem zu viele Zähne steckten, hob die Flasche und prostete uns zu. The devil made me do it, do it, do it . Dann klemmte sie sich neben Max auf die Bank, schlang ihren dünnen Arm um seinen Hals und flüsterte etwas in sein Ohr. The devil made me trip and fall . Eine Welle überrollte mich, und ich wusste, dass ich sie haben wollte. Begierde, Eifersucht, Konkurrenz, der Wunsch, endlich dazuzugehören – es war eine Mischung aus allem. Ich hatte nie Probleme mit Freundschaften gehabt, doch hier fühlte ich mich ständig, als hätte ich einen Ausschlag im Gesicht. Mein Graf i kdesignstudium langweilte mich. Ich wollte Comics zeichnen, doch dafür gab es keine Ausbildung. So hatte ich mich in die Werbegraf i k verirrt und war mit allem unzufrieden, bis auf meinen Job bei der Postille, einem alternativen Wochenblatt, für das ich Karikaturen zeichnete und dessen einziger Redakteur Max war. Daneben gab es Heini, den Gründer und Inhaber des Blatts, sowie Frau Rüdisüli, die sich stundenweise um die Buchhaltung kümmerte. Paule, so hieß das Mädchen, hatte vor meiner Zeit den Server in der Redaktion eingerichtet, bis sie sich einen Job suchen musste, der Geld abwarf, um ihr Informatikstudium an der ETH zu finanzieren.
    »Wanderst du?«, fragte sie und sah mich zum ersten Mal offen an. Ich betrachtete den Boden meines leeren Glases und nickte vage. Wie das rein technisch zu bewerkstelligen sei, Sex in einem Biwak in der Eiger-Nordwand zu haben, fragte sie. Was möglich wäre, was nicht. Bewegungen, Handgriffe, Stellungen. Pearl Jam jetzt. Knockin’ on Heaven’s Door . Max und Paule fachsimpelten über das Bergsteigen. Ausrüstung, Gipfel, Touren. Ich winkte einer Kellnerin mit schwarz bemalten Augen und einem unordentlichen blonden Gesteck auf dem Kopf.
    »Kletterst du?«, fragte Paule weiter und freute sich über meine Verlegenheit. Ich schüttelte den Kopf. Sie legte mir ihre Hand auf den Schenkel, die warm war und erstaunlich groß.
    An diesem heißen Juniabend hatte die Achterbahnfahrt begonnen. Noch ging es schleppend bergauf, doch bald würden wir den Kipppunkt erreicht haben und das Gefährt nach einem Augenblick der Schwebe in ohrenrauschender Fahrt hinunter mehr fallen als fahren, wobei wir einander verloren und mir nicht nur Paule, sondern nach und nach mein ganzes Leben entglitt, zersprengt wurde, und ich alles aufgab, mich der Sturzfahrt ins Nichts überließ. Damals dachte ich noch, dass wir alles in der Hand hätten, doch heute weiß ich, dass ich die Möglichkeit, etwas zu halten und zu gestalten, im Grunde nie gehabt habe. Dass keiner sie hatte. Auch Paule nicht.
    Sie gefiel mir nicht besonders. Aber als sie später am Fußballtisch neben mir stand und mit fliegenden Händen die Griffe drehte, roch ich sie zum ersten Mal, und wusste, dass ich mit ihr schlafen wollte, dass wir uns lieben würden und dass ich nicht mehr loskommen würde von ihr. Sie spielte mit viel Körpereinsatz und wenig Effekt, sodass wir weiterhin verloren und den Motorradfahrern Bier ausgeben mussten. Wieder ging uns das Geld aus, und so beschlossen wir zu gehen. Die Kneipe war voller Leute, und im Gedränge ließ Paule ihre Hand über meine Hüfte abwärts gleiten und auf dem Hintern liegen. Bis wir auf der Straße standen, hatte sie ihn gründlich betastet.
    Rotes und rosa Blinken in den Schaufenstern, Frauen in überhohen Stiefeln, gehetzte Junkies und wachsame Dealer, die, ihren Sugar-Coki-Sugar-Coki-Sermon murmelnd, scheinbar zielstrebig die Straße hinuntereilten, bevor sie in bläulich ausgeleuchteten Hofeinfahrten einen hastigen Verkauf abwickelten. Eintöniges Stampfen der House Music aus offenen Autos, Männer einzeln und in Gruppen drängten sich an uns vorbei, taxierten Paule, bevor sie in der nächsten Bar oder im nächsten Sexclub verschwanden. Paule streckte mir zum Abschied die Hand hin und lachte wieder mit den vielen Zähnen. Ihre weit auseinanderstehenden grauen Augen schlossen sich, schön nach allgemeiner Auffassung war sie nicht, nicht einmal nach meiner, und doch zitterten mir die Knie und ich war froh, dass wir noch nicht beim dreimaligen Wangenküssen, dem Ritterschlag der Zugehörigkeit, angelangt waren, dass ich ihren Geruch nicht noch einmal einatmen musste.
    Sie schwang sich auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher