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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
Autoren: Beate Rothmaier
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Mutter bringen, und sei gekommen, um ihn abzuholen. Außer ihr sei keiner da, die Herrschaften verreist, ich solle verschwinden, war die barsche Antwort. Die Haushälterin ging zurück ins Haus und warf die Eichentür hinter sich ins Schloss. Kurz darauf sah ich sie am Fenster stehen und mich beobachten. Ich ging ein paar Schritte zurück, anstatt jedoch das Grundstück zu verlassen, kauerte ich mich hinter einen Buxbaum und beobachtete nun meinerseits die weiße Schürze, bis sie verschwand. Dann huschte ich zurück und schlich um das Gebäude auf der Suche nach einer unverschlossenen Hintertür oder einem gekippten Kellerfenster. Wer waren die Leute, die hier wohnten? Am Türschild standen nur die Initialen J. B., woher kannte Paule sie und warum überließ sie ihnen das Kind, das sie zuerst nicht, dann unbedingt doch hatte haben wollen? In den anderthalb Jahren, die ich Paule kannte, hatte ich wenig mehr über sie erfahren, als dass sie in den Bergen aufgewachsen war, wo ihre Mutter, zu der sie keinen Kontakt mehr hatte, immer noch lebte. Zu beschäftigt waren wir gewesen mit unseren allnächtlichen Flucht- und Verfolgungsspielen, als dass wir über etwas anderes als uns beide geredet hätten, über das Abenteuer unserer Liebe, die Unstillbarkeit unseres Verlangens. Im Ineinanderstürzen, im Aufruhr der Gegenwart, hatten wir Vergangenheit und Zukunft ausgelöscht.
    Türen und Fenster waren fest verschlossen, so sprang ich entschlossen die Freitreppe hinauf und klingelte. Nichts regte sich. Wieder und wieder klingelte ich und nahm zuletzt den Finger nicht mehr vom Knopf, ließ es schrillen, bis sich endlich schlurfende Schritte näherten, ein Schlüssel gedreht wurde und sich die Tür einen Spalt öffnete. Ich warf mich dagegen und stürmte ins Haus. Die Tür prallte gegen die Frau, die taumelte rückwärts, griff hinter sich und sank auf einen Polsterstuhl. Sie schrie und hielt sich die blutende Nase. Ich fand ein Taschentuch und streckte es ihr hin, doch sie wich zurück und schrie weiter. Da legte ich es ihr auf die rot betropfte Schürze und rannte ins Dunkel des Hauses hinein, wo ich das Kind vermutete.
    Eine Treppe nach der anderen, mehrere Stufen auf einmal nehmend, sehr leise, auf dickflorigen Läufern, in üppig ausstaffierte Zimmer. Streifenmustertapeten, pastellfarbene Bettwäsche, Möbel aus nussbraunem Holz. Pantone 4635 C. Penibel aufgeräumt, ohne einen einzigen persönlichen Gegenstand, ohne einen Hinweis auf die Leute, die hier wohnten. Swarovskinippes, perlenbestickte Kissen und eine alabasterbleiche Orchidee im Porzellanübertopf. Kein Geräusch, kein Mensch, kein Hinweis auf Leben. Ein überheiztes Badezimmer, dunkle Fliesen, goldverchromte Armaturen, Schalen mit Blütenblättern, doch kein Geruch. Kataloge von Einrichtungshäusern sehen so aus. Noch ein Schlafzimmer, das in ein schlauchartiges Ankleidezimmer mit meterlangen Schrankwänden mündet, wieder eine Tür ins nächste Schlafzimmer und so fort. Keine Möglichkeit, auf den Flur zurück zu gelangen, um eine Treppe nach unten zu finden. Stattdessen Streublumendekor, Biedermeiermöbel mit gestreiften Bezügen, bodenlange Schabracken an allen Fenstern, und immer blicke ich auf den Garten hinaus und immer auf Trauerweide und Goldfischteich. Am Ende eine Kammer mit Decken und Kissen in Plastikhüllen, mit Überwürfen, Matratzenschonern, Heizdecken und noch eine Tür. Ein leerer Raum, in dem einzig ein Seidengobelin hängt, auf dem die Szene einer Treibjagd zu sehen ist. Hunde stellen einen Hirsch. Mit verdrehten Augen wirft der Zwölfender Kopf und Geweih nach hinten. Hinter schweren Samtvorhängen sehe ich in den Garten, sehe den Teich, die Weide, doch jetzt eilt da eine gebückte Gestalt über den Kiesweg, ein Bündel im Arm. Lio! Das Fenster lässt sich nicht öffnen, ich schlage mit der flachen Hand an die Scheibe, das stoffgedämpfte Zimmer schluckt meine Verzweiflung, kein Laut scheint die Frau zu erreichen. Ich sehe sie hinter einer Wegbiegung verschwinden. Zimmer für Zimmer, Kammer für Kammer renne ich zurück, renne im Kreis, haste von Raum zu Raum, gelange endlich in einen teppichbelegten Korridor, an dessen Ende eine Treppe nach oben führt, die ich in großen Sprüngen nehme, um in einen weiteren Gang zu kommen, von dem Zimmer abgehen, Büroräume jetzt, und leise rieselt Kaufhausmusik aus unsichtbaren Lautsprechern herab. Ich drücke Klinke um Klinke, doch alle Räume sind verschlossen, komme um eine Ecke in einen anderen Gang
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