Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht
Autoren: Jennifer R. Hubbard
Vom Netzwerk:
hatte.
    Val bemerkte mich als Erste; dann hob Jake den Kopf. »Hey, da ist ja mein Grund weiterzuleben«, sagte er, als er die Tüte in meiner Hand erblickte.
    Ich durchquerte das Zimmer. »Also riechen tut es jedenfalls ziemlich gut.«
    Er richtete sich auf, wischte sich mit der Hand übers Gesicht und nahm mir die Tüte ab. Val klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Bin gleich wieder da.«
    Sobald sie verschwunden war, biss er in eine Fritte. »Das war nicht das, wonach es aussah«, erklärte er.
    »Wie meinst du das?«
    »Sie mag mich nicht auf diese Weise. Sie hat immer nur dich gemocht.«
    »Nicht genug«, erwiderte ich. »Das hat sie mir letzte Woche ziemlich deutlich zu verstehen gegeben.« Es tat weh, das einzugestehen, aber zumindest hatte ich nicht mehr das Gefühl, als würde mir jemand die Eingeweide aus dem Leib reißen.
    Er seufzte und aß weiter. Val gesellte sich wieder zu uns, und wir saßen schweigend beieinander, wie wir es uns vor vielen Monaten angewöhnt hatten. Komisch – ich hatte zwar nicht das Bedürfnis, wieder in der Klinik zu landen, doch ganz kurz sehnte ich mich nach der Zeit zurück, als wir hier zusammen gewesen waren und uns jeden Tag gesehen hatten.
    Nachdem Jake seinen Burger verputzt hatte, stopfte er sich die herausgefallenen Zwiebel- und Tomatenstückchen in den Mund. Dann sagte er: »Ich weiß einfach nicht, wie ich es anpacken soll. Warum habt ihr beide eine Lösung gefunden? Und warum schaffe ich das nicht?«
    »Ich habe keine Lösung gefunden«, sagte ich. »Ich improvisiere dauernd.«
    »Ich auch«, fügte Val hinzu.
    Jake bot uns den Rest der Fritten an. »Ich hab immer das Gefühl, dass es irgendein Regelheft gibt, das alle anderen haben, bloß ich nicht.«
    Val und ich lachten. Wir hatten auch kein Regelheft.
    »Ich habe es satt, mir wie Scheiße vorzukommen«, sagte Jake.
    Val tippte ihm aufs Knie. »Das wird alles besser.«
    »Ah ja? Wann denn?«
    »Keine Ahnung. Aber irgendwann wird es das.«
    Er knüllte die leere Tüte zusammen. »Vielleicht bei allen andern, aber nicht bei mir.«
    Ich erinnerte mich, dass ich genau das in jener Nacht in der Garage gedacht hatte. Und auch nachdem Val mich zurückgewiesen hatte. Und immer wenn ich wie unter Zwang diesen blöden pinkfarbenen Pullover aus meinem Wandschrank geholt hatte. Und nachdem mir klar geworden war, dass Nicki mich angelogen hatte. Jedes Mal, wenn ich dachte, jetzt würde alles besser werden, gab der Boden unter meinen Füßen nach.
    Aber andererseits wurde alles besser, genau wie Val gesagt hatte. Und dann wieder schlimmer. Um anschließend wieder besser zu werden. Mir kam der Gedanke, dass mir dieses Auf und Ab für immer bevorstehen könnte und das Leben vielleicht einfach so war.
    »Wenn du durchhältst«, sagte Val, »dann wird es besser, das versichere ich dir.«
    Jakes Hand fing an zu zittern. Er drückte die zerknüllte Tüte noch fester zusammen. »Quatsch«, erwiderte er mit zittriger Stimme, was mir verriet, dass er ihr glauben wollte .
    Er drehte sich zu mir. »Wird es wirklich besser?«
    Das war die Frage, und ich war es ihm schuldig, sie mit Patterson-Aufrichtigkeit zu beantworten.
    »Ja«, sagte ich.
    Am späten Nachmittag ging ich wieder zum Wasserfall, stellte mich aber nicht darunter. Stattdessen planschte ich nur im Teich herum. Ich kramte alles, was ich über Nicki und ihren Vater wusste, aus meinem Gedächtnis und versuchte, die Lügen durch die Wahrheit zu ersetzen. Es fiel mir nicht immer leicht, mich zu erinnern, welche Puzzleteile noch dazugehörten und wo statt der alten Teile neue eingefügt werden mussten.
    Als Nicki zusammen mit vier anderen Kids, die ebenfalls unten am Highway wohnten, aufkreuzte, war ich versucht, schnell zu tauchen und mich zu verstecken, doch ich wusste, dass ich den Atem nicht so lange würde anhalten können. Zwei von ihnen kannte ich von der Schulbushaltestelle, hatte aber nie mit ihnen gesprochen, sondern mich immer abseits gehalten und mir Kopfhörer in die Ohren gestöpselt. Um die Wahrheit zu sagen – manchmal stellte ich gar keine Musik an. Die Kopfhörer trug ich, weil ich dann mit niemandem reden musste, und den anderen lieferten sie einen triftigen Grund, nicht mit mir zu reden.
    Die Kids setzten sich in einiger Entfernung vom Teichrand auf ein paar umgestürzte Bäume, um sich zu unterhalten und Zigaretten zu rauchen. Das Mädchen, das mich als »Loser der Schule« bezeichnet hatte, war nicht dabei. Nicki blickte zwischen mir und ihren Freunden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher