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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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dem, das ich dir erzählt habe?«
    Ich wollte ihr glauben, konnte es aber nicht. Mein Instinkt riet mir, ihr zu vertrauen, während mein Gehirn, das immer noch ihr Lügenknäuel aufdröselte, das für absurd hielt. Deshalb attackierte ich sie an einer anderen Front. »Warum verdammt noch mal sind wir in der ganzen Gegend rumgefahren, um mit diesen Medien zu sprechen?«
    Sie trank einen weiteren Schluck Wasser und stellte das Glas auf den Teppich. »Du weißt, warum.«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Ich wollte meinen Vater ausfindig machen. Genau wie ich es dir gesagt habe.« Sie wischte sich die Hände an ihren Shorts ab. »Bloß dass ich jetzt denke, dass ich am falschen Ort gesucht habe. Diese Medien hatten mir nichts zu sagen. Aber ich glaube, du hast mir etwas zu sagen.« Sie sah mich flehend an.
    Ich atmete tief durch. Ich hasste diesen Ausdruck in ihrem Gesicht, diesen Glauben, von dem sie sich nicht abbringen ließ – den Glauben, ich könne für ihren Vater sprechen. Diese Verantwortung . Vor allem mit dieser Verantwortung kam ich nicht zurecht.
    »Quatsch«, sagte ich.
    »Das ist kein Quatsch. Alles, was ich über meinen Dad erfahren habe – zumindest was die Gründe angeht, warum er es getan hat –, habe ich von dir erfahren, das weiß ich.«
    Ich drehte mich zum Fenster und blickte in Richtung der Bäume, durch die das Licht der Sonne sickerte. Dann presste ich die Stirn gegen das Glas – ein weiterer Fettfleck, über den meine Mutter sich aufregen konnte. Je mehr ich Nicki vergeben wollte, desto größer wurde der Schmerz. Als würde ich Stück für Stück auseinandergerissen. Alle Alarmglocken in mir schrillten, um mich davor zu warnen, mich wieder mit ihr einzulassen. Mit dem, was sie über mich wusste, konnte sie mich derart bloßstellen, dass ich zum Gespött der ganzen Gegend werden würde.
    »Ich will nicht dein … Selbstmordguru sein«, sagte ich. »Ich habe die Nase voll von dir.«
    »Ich meine doch nicht …«
    »Hast du deswegen neulich mit mir rumgeknutscht? Hast du mir deswegen von Funworld erzählt? Um noch mehr Informationen aus mir rauszuquetschen?« Ich drehte mich zu ihr zurück. »War wirklich nicht nötig. Du wusstest ja bereits alles.«
    Sie erhob sich und machte einen Schritt auf mich zu, wobei sie mit dem Fuß das Glas umstieß. Das Wasser floss über den Teppich, was jedoch keinen von uns kümmerte. Nicki drückte den Rücken durch und sagte: »Ich habe dich nicht hinters Licht geführt. Das weißt du ganz genau. Kann sein, dass ich Angst davor hatte, dir die volle Wahrheit zu erzählen, aber die wichtigen Sachen stimmten alle. Mein Vater ist tot, und er hat sich umgebracht, und ich weiß nicht, warum. Und das mit Funworld stimmte auch.« Sie schluckte. »Und geküsst habe ich dich, weil ich dich küssen wollte. Weil ich dich mag. Manchmal denke ich, dass ich dich sehr mögen könnte, wenn du das zulassen würdest. Und ich kann überhaupt nicht verstehen, warum diese Val so blöd war, dich nicht zu küssen.«
    Mittlerweile atmeten wir beide so schwer, als hätten wir bis eben gejoggt oder wären gerade unter dem Wasserfall hervorgekommen. Ich wollte ihr glauben, doch gleichzeitig wollte ich das Risiko, ihr zu vertrauen, nicht eingehen.
    Und deshalb blieb ich stur.
    »Warum hast du das mit der Waffe erfunden und behauptet, du hättest ihn zusammen mit Matt gefunden?«
    »Matt war ja wirklich bei Dad. Dass ich auch dabei war … ich meine, statt Kent … habe ich dir erzählt, weil ich gern dabei gewesen wäre.« Eine Sekunde lang wurde ihr Gesicht völlig ausdruckslos. Dann errötete sie und fing an zu schluchzen, was mir durch und durch ging. »Manche Leute halten das für krank, aber ich meine ja nicht, dass ich ihn sterben sehen wollte. Ich wollte dabei sein, wollte für ihn da sein … weißt du, so wie wenn man ins Krankenhaus geht, um sich von jemand zu verabschieden, der im Sterben liegt.«
    Sie rang nach Luft und wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken ab. »Das findet niemand merkwürdig«, fuhr sie fort. »Wenn sich alle ums Krankenbett versammeln, kommt das niemand merkwürdig vor.«
    Ich hätte sie gern angefasst und ihr übers Haar gestreichelt, damit sie aufhörte zu weinen, doch ich tat es nicht. Oder konnte es nicht. Meine rechte Hand zitterte, aber zu einer anderen Bewegung war ich nicht fähig.
    Sie schniefte und leckte sich ein paar Tränen von den Lippen. Dann bückte sie sich, um die Eiswürfel und das leere Glas aufzuheben.
    »Es tut mir
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