Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Athyra

Athyra

Titel: Athyra
Autoren: Steven Brust
Vom Netzwerk:
eines Patienten augenblicklich zurückzog. Allerdings ging der Leichnam nicht gerade als Patient durch, und der Meister grummelte die um den Karren gedrängten Gaffer an, bis sie alle mehrere Schritte zurückgewichen waren. Savn atmete tief durch, stolz, weil der Meister »wir« gesagt hatte, und er mußte sich zwingen, nicht die Hände zu reiben, als wäre eigentlich er es, der »zu arbeiten« hatte. Er hoffte, Firi sah zu.
    »Nun, Savn«, sagte der Meister. »Sag mir, was du siehst.«
    »Na ja, ich sehe Zaum. Ich meine, seine Leiche.«
    »Du siehst ihn dir nicht an. Versuch es noch einmal.«
    Savn wurde einmal mehr bewußt, daß man ihn beobachtete, und er ignorierte das Gefühl mehr oder weniger erfolgreich. Sorgfältig sah er sich an, wie die Hände lagen, die Handflächen waren nach oben gedreht, und wie Füße und Beine, die seltsam abstanden. Niemand würde sich willentlich so hinlegen. Beide Knie waren leicht angewinkelt, und –
    »Du schaust ihm nicht ins Gesicht«, sagte Meister Wack. Savn schluckte. Er hatte sich das Gesicht auch gar nicht ansehen wollen. Der Meister sprach weiter: »Sieh dir immer zuerst das Gesicht an. Was erkennst du?«
    Savn zwang sich, hinzuschauen. Die Augen waren locker geschlossen und die Lippen gerade aufeinandergelegt. Er antwortete: »Es sieht einfach aus wie Zaum, Meister.«
    »Und was sagt dir das?«
    Savn versuchte zu überlegen, und endlich brachte er heraus: »Daß er im Schlaf gestorben ist?«
    Der Meister grunzte: »Nein, aber diese Vermutung war schon besser als die meisten, die du hättest äußern können. Wir wissen noch nicht, ob er im Schlaf gestorben ist, wenngleich dies möglich wäre, aber wir wissen zwei wichtige Dinge. Einmal, daß der Tod ihn nicht überrascht hat oder er derart überrascht war, daß er den Schock nicht mehr verarbeiten konnte, und außerdem wissen wir, daß er nicht unter Schmerzen gestorben ist.«
    »Oh. Ja, ich verstehe.«
    »Gut. Was noch?«
    Savn schaute wieder hin und sagte zögerlich: »An seinem Hinterkopf ist Blut.«
    »Wieviel?«
    »Ganz wenig.«
    »Und wie stark bluten Kopfverletzungen?«
    »Sehr stark.«
    »Also, was leitest du daraus ab?«
    »Ähm, ich weiß nicht.«
    »Denk nach! Wann wird bei einer Kopfverletzung kein Blut austreten?«
    »Wenn … oh. Er war schon tot, bevor er sich den Kopf aufgeschlagen hat?«
    »Exakt. Sehr gut. Und siehst du sonst noch irgendwo Blut?«
    »Ähmmm … nein.«
    »Folglich?«
    »Er starb, fiel nach hinten um und schlug sich den Kopf am Karren auf, so daß nur ganz wenig Blut austrat.«
    Der Meister grunzte. »Nicht schlecht, aber auch nicht völlig richtig. Sieh dir den Karren an. Faß den Boden an.« Savn gehorchte. »Nun?«
    »Er ist aus Holz.«
    »Was für Holz?«
    Savn betrachtete es und kam sich dumm vor: »Ich kann es nicht erkennen, Meister. Irgendein Tannenholz.«
    »Ist es hart oder weich?«
    »Oh, es ist sehr weich.«
    »Folglich muß er recht heftig daraufgefallen sein, um sich den Kopf aufzuschlagen, nicht?«
    »Oh, das stimmt. Aber wie?«
    »Ganz recht, wie? Man hat mir berichtet, das Pferd sei langsam in den Ort getrabt, und der Leichnam lag exakt so, wie du ihn jetzt siehst. Eine Erklärung, welche die Tatsachen berücksichtigen würde, wäre es, wenn er seiner Wege gefahren und unvermittelt verstorben ist und gleichzeitig oder kurz darauf das Pferd sich erschreckte, wodurch der bereits tote Körper nach hinten geworfen wurde, wo er so gefallen wäre, wie wir es hier sehen, und mit ausreichend Gewalt, daß die Haut über dem Schädel aufplatzt und der Schädelknochen selbst eingedrückt wird. Wäre es so gewesen, was würdest du zu sehen erwarten?«
    Savn fand inzwischen richtig Gefallen daran – es als Rätsel zu betrachten, nicht als den Leichnam von jemandem, den er gekannt hatte. Er antwortete: »Einen eingedrückten Schädel, sowie eine passende Delle im Karren unter seinem Kopf.«
    »Er hätte nun wirklich sehr heftig aufschlagen müssen, um eine Delle im Holz zu erzeugen. Aber ja, am Hinterkopf müßte etwas zu sehen sein. Und was noch?«
    »Was noch?«
    »Ja. Denk nach. Stell dir die Szene vor, so wie sie sich abgespielt haben könnte.«
    Savn merkte, wie seine Augen größer wurden. »Oh!« Er schaute sich das Pferd an. »Ja. Es ist schnell galoppiert.«
    »Ausgezeichnet!« sagte der Meister und lächelte zum erstenmal. »Nun können wir unser Wissen über Zaum benutzen. Was hat er getan?«
    »Ähm, er war mal Fahrer, aber was er gemacht hat, nachdem er die Stadt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher