Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen

Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen

Titel: Assassin's Creed Bd. 5 - Forsaken - Verlassen
Autoren: Oliver Bowden
Vom Netzwerk:
neugierig darauf war, was Tom gemeint hatte.
    Darum fragte ich sie: „Was sagen die Leute über uns?“
    Sie seufzte theatralisch und schaute von ihrer Handarbeit auf.
    „Was meinst du damit, du Zwerg?“, entgegnete sie.
    „Na, das eben … was die Leute über uns sagen.“
    „Sprichst du von Gerüchten?“
    „Wenn du so willst.“
    „Und was kümmern dich Gerüchte? Bist du nicht ein bisschen zu …?“
    „Sie kümmern mich eben“, unterbrach ich sie, bevor sie wieder behaupten konnte, ich sei zu jung, zu dumm oder zu kurz.
    „Ach ja? Und warum?“
    „Jemand hat etwas gesagt, das ist alles.“
    Sie legte ihre Handarbeit weg und schürzte die Lippen. „Wer? Wer hat etwas gesagt, und was hat er gesagt?“
    „Ein Junge an der Tür hinten im Garten. Er sagte, unsere Familie sei komisch und Vater sei einmal ein …“
    „Was?“
    „So weit sind wir nicht gekommen.“
    Sie lächelte und nahm ihre Näharbeit wieder auf. „Und das hat dich nachdenklich gemacht, nicht wahr?“
    „Na ja, ginge dir das nicht so?“
    „Ich weiß schon alles, was ich wissen muss“, erwiderte sie in überheblichem Ton, „und es interessiert mich nicht, was man sich im Haus nebenan über uns erzählt.“
    „Na, dann sag’s mir doch“, forderte ich sie auf. „Was war Vater denn, bevor ich auf die Welt kam?“
    Manchmal lächelte Jenny doch. Sie lächelte, wenn sie die Oberhand hatte, wenn sie ein wenig Macht über jemanden ausüben konnte – vor allem, wenn ich dieser Jemand war.
    „Das erfährst du schon noch“, meinte sie.
    „Wann?“
    „Alles zu seiner Zeit. Schließlich bist du sein männlicher Erbe .“
    Wir schwiegen lange. „Was meinst du damit?“, fragte ich dann. „Sein ‚männlicher Erbe’? Was ist der Unterschied zwischen dem und was du bist?“
    Sie seufzte abermals. „Im Moment gibt es keinen großen Unterschied. Sieht man einmal davon ab, dass du an den Waffen ausgebildet wirst und ich nicht.“
    „Du nicht?“ Aber wenn ich darüber nachdachte, wusste ich das natürlich bereits, und wahrscheinlich hatte ich mich schon darüber gewundert, warum ich im Schwertkampf unterrichtet wurde und sie Handarbeiten machte.
    „Nein, Haytham, ich habe keine Kampfausbildung. Kein Kind wird an der Waffe ausgebildet, nicht in Bloomsbury jedenfalls und vielleicht in ganz London nicht. Niemand außer dir. Hat man dir es nicht gesagt?“
    „Was denn?“
    „Dass du nicht darüber reden sollst.“
    „Ja, schon, aber …“
    „Und hast du dich nie gefragt, warum? Warum du nicht darüber reden sollst?“
    Vielleicht hatte ich mich das gefragt. Vielleicht hatte ich es insgeheim immer gewusst. Doch ich sagte nichts.
    „Du wirst bald herausfinden, was auf dich wartet“, fuhr Jenny fort. „Unser Leben ist uns vorgezeichnet wie eine Wegbeschreibung auf einer Karte. Mach dir da nur nichts vor.“
    „Und was wartet auf dich?“
    Sie schnaubte abfällig. „Nein, die Frage ist nicht, was auf dich wartet, sondern wer .“ In ihrer Stimme lag ein Unterton, den ich erst viel später verstehen sollte. Ich sah sie an und wusste, dass es unklug gewesen wäre, weiter nachzuhaken, dass ich Gefahr laufen würde, mit ihrer Nadel gestochen zu werden. Aber als ich schließlich das Buch, in dem ich gelesen hatte, weglegte und den Salon verließ, war ich mir im Klaren darüber, dass ich zwar so gut wie nichts über meinen Vater oder meine Familie erfahren hatte, dafür aber etwas über Jenny: warum sie nie lächelte und warum sie mir gegenüber immer so feindselig war.
    Es lag daran, dass sie die Zukunft kannte. Sie wusste, dass man mich bevorzugen würde, aus keinem anderen oder besseren Grund als dem, dass ich männlichen Geschlechts war.
    Vielleicht hätte sie mir leidgetan – wäre sie nicht immer so sauertöpfisch gewesen.
    Allerdings empfand ich mit diesem neu gewonnenen Wissen beim Waffentraining am nächsten Tag einen ganz besonderen Schauder der Erregung: Außer mir wurde also niemand an den Waffen ausgebildet. Plötzlich hatte ich das Gefühl, von einer verbotenen Frucht zu kosten, und dass mein Vater mein Lehrer war, machte diese Frucht nur noch saftiger. Wenn Jenny recht hatte und es so etwas wie einen Ruf gab, dann wurde ich darauf vorbereitet, ihm zu folgen, so wie andere Jungen auf das Priesteramt oder den Beruf des Schmieds, des Fleischers oder Zimmermanns. Und das gefiel mir gut. Zu niemandem auf der Welt sah ich mehr auf als zu meinem Vater. Der Gedanke, dass er sein Wissen an mich weitergab, war wohlig und packend
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher