Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park
Autoren: Lauren Willig
Vom Netzwerk:
gefallen», nuschelte Granny Addie. «Bea …»
    «Das ist das neue Medikament», sagte die Pflegerin leise über Granny Addies Kopf hinweg. «Sie verträgt es nicht.»
    Clemmie streichelte die dünne Hand ihrer Großmutter und spürte die aufgequollenen Adern, wie dicke Schnüre. «Ich hab dich lieb, Granny.» Als könnte das sie zurückholen. «Du fehlst mir.»
    Sie hatte das Falsche gesagt. «Fehlst mir», wiederholte Granny Addie. «Du fehlst mir.» Eine Träne rann langsam über die schlaffe, papierdünne Haut ihre Wange hinunter, nur eine zuerst, dann noch eine. Sie weinte lautlos, mit offenen Augen und geschlossenem Mund.
    «Granny.» Clemmie rieb ihr die Hände. «Granny, bitte nicht weinen.»
    Die Tränen flossen lautlos weiter.
    «Entschuldigung.» Die Schwester schob Clemmie zur Seite und beugte sich über Granny Addie. Während sie ihr die Tränen abtupfte, sagte sie: «Soso. Sie sind einfach erschöpft, nicht? Kommen Sie, legen Sie sich eine Weile hin, Mrs. Desborough.»
    «Ich rede morgen früh gleich mit dem Arzt», sagte Clemmies Mutter mit angestrengter Stimme.
    Clemmie stand ungeschickt auf. «Wird das wieder besser?»
    Die Pflegerin drehte den Kopf und sah sie kurz an. «Machen Sie sich keine Sorgen, Miss, das sind nur diese neuen Tabletten. Mit Ihnen hat das nichts zu tun.» Sie beugte sich wieder über Granny Addie, schob ihr ein Kissen in den Rücken und vergewisserte sich, dass ihre Brillantbrosche nicht an ihre Wange drückte.
    Die Frau im Rollstuhl sah nicht aus wie Granny Addie. Ihr Gesicht war im Schlaf erschlafft, die Haut hing lose von den Knochen. Wie liegengelassene Wäsche, dachte Clemmie, Wäsche, die man auf einen Haufen geworfen und vergessen hat. Es war, als wäre die Granny Addie, die sie kannte, fortgegangen und hätte ihren Körper zurückgelassen wie ein Häufchen schmutziger Kleider. Alle Eigenart, die sie belebt hatte, war verschwunden.
    «So ist es gut, Mrs. Desborough», leierte die Pflegerin. «Sie ruhen sich jetzt schön aus.»
    Clemmie räusperte sich. «Ist sie oft so?»
    Die Pflegerin wechselte einen Blick mit Clemmies Mutter. «So schlimm war es bisher nie», sagte sie und setzte den Rollstuhl in Gang. «Es sind wahrscheinlich nur die neuen Tabletten, nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Ich sage ihr, dass Sie hier waren.»
    Clemmie schaute ihr nach, wie sie den Stuhl mit Granny Addie, die jetzt mit tränenfeuchtem Gesicht eingeschlummert war, durch das Wohnzimmer schob, zwischen den achtlosen, plaudernden Gästen hindurch.
    «Wie lange nimmt sie die Tabletten schon?», fragte Clemmie scharf.
    «Ich bin keiner deiner Zeugen, Clementine», versetzte ihre Mutter ärgerlich. «Du brauchst mich nicht ins Verhör zu nehmen.»
    «Entschuldige», murmelte Clemmie.
    «Ich rufe morgen den Arzt an. Sie war vorher schon ein bisschen verwirrt, aber der Arzt sagte, das würde sich geben.» Mutter schnalzte mit der Zunge. «Da hat er sich offensichtlich getäuscht.»
    «Wieso hat Granny mich dauernd Bea genannt?»
    «Herrgott noch mal, Clementine, glaubst du, ich bin allwissend? Ich muss mit Donna reden. Sieh zu, dass die Leute rüber ins Esszimmer gehen. Es ist nur ein Büfett. Ich habe mir gedacht, dass so etwas passieren könnte.»
    Ihre Mutter verschwand durch das Fernsehzimmer, auf dem Weg zu Granny Addies Schlafzimmer. Clemmie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Donna die Pflegerin war.
    Das sah alles gar nicht gut aus.
    Sie klammerte sich an die beschwichtigenden Worte der Pflegerin, dass der Tag zu anstrengend gewesen sei, dass dies eine Ausnahme sei, nichts, worüber man sich beunruhigen müsse, aber tief im Innern wusste sie, dass das alles nicht stimmte. Der schnelle Verfall war deutlich zu erkennen. Das letzte Mal, als Clemmie bei ihrer Großmutter gewesen war, war sie nicht so gewesen. Wann? Vor zwei Monaten? Oder drei? Nein, es war länger her. Es war im August gewesen. Sie konnte sich erinnern, dass sie sich über die Hitze beklagt hatte. Fast vier Monate also. Das schlechte Gewissen versetzte ihr einen Stich. Sie lebte in derselben verdammten Stadt. Es gab überhaupt keine Entschuldigung.
    Noch dazu, wo sie Granny Addie so viel verdankte. Sie hatten eine kurze – eine sehr kurze – Zeit bei ihr gelebt, als sie mit ihrer Mutter nach der Scheidung aus Kalifornien hierhergezogen war. Clemmie war erst vier gewesen, zu klein, um sich klar zu erinnern, aber sie erinnerte sich sehr wohl, wie fremd alles gewesen war.
    Ihre Mutter war die meiste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher