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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park
Autoren: Lauren Willig
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Heimat hinauszukommen? Den Wunsch, noch ein bisschen zu leben, ehe sie sich die Schürze umband und zum Heimchen am Herd wurde?
    Ein billiges Argument, aber es hatte gesessen. Er hatte sich augenblicklich entschuldigt. David war ein sehr fortschrittlich denkender Mann. Das war eines der Dinge, die sie an ihm mochte, nein, die sie an ihm liebte. Er bewunderte sie tatsächlich dafür, dass sie arbeitete. Er bewunderte sie dafür, dass sie sich aus dem aristokratischen Korsett befreit hatte – so hatte er es formuliert – und ihr Leben selbst in die Hand nahm.
    Er ahnte nicht, dass die Wahrheit weit komplizierter war, längst nicht so beeindruckend. Sie hatte sich weniger aus eigenem Antrieb befreit, sie war angetrieben worden und hatte nichts dagegen tun können.
    Der arme David. Gebührend beschämt, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Afrikareise mit ihr zu planen, und war jeden Abend zur Entschuldigung mit einem neuen Sühneopfer erschienen, einer Landkarte, einem Reiseführer, einem Fahrplan. Er stürzte sich in die Vorbereitungen, als wollte er und nicht sie die Reise unternehmen. Addie nickte und lächelte und täuschte ein Interesse vor, das nicht da war. Es nicht zu tun, wäre dem Eingeständnis gleichgekommen, dass die Frage immer noch unbeantwortet zwischen ihnen stand.
    Warum?
    Wenn sie es doch nur wüsste. Unter ihrem Topfhut klebte ihr das Haar am Kopf. Addie riss den Hut herunter und warf ihn auf das schmale Bett. Durch die Bewegung des Zuges hätte eigentlich ein kleiner Luftzug entstehen müssen, doch die Mückenschutzgitter saßen stramm im Rahmen, und die Maschen waren von dem roten Staub verklebt, der beinahe schlimmer war als die Mücken. Mit den heruntergelassenen Blenden war der Wagen dunkel und stickig, einem Viehwaggon ähnlicher als einem Abteil erster Klasse, und viel zu oft übertönte das schrille Heulen der Signalpfeife das Rattern der Räder auf den Gleisen.
    Auf dem Bett kniend, kämpfte sie mit den Rollläden, bis sie sie oben hatte. Der Zug zuckelte stetig auf dem einspurigen Gleis dahin. ‹Die Eisenschlange› nannten ihn die Einheimischen, wie man ihr in Mombasa erklärt hatte, während sie im hektischen Gewimmel des Hafens herumgeschubst wurde und krampfhaft versuchte, bei ihrem Gepäck zu bleiben, das vom Schiff zum Zug befördert wurde. In der Ferne konnte sie eine Herde Tiere ausmachen, Rehen ähnlich, doch mit dünnen, hochgewachsenen Hörnern, die vom Getöse des Zugs erschreckt die Flucht ergriffen. Es war beinahe Mittag, und in der Äquatorsonne flimmerte die Landschaft in einer Art Dunst, wie hinter schlierigem Glas, sodass die fliehenden Tiere im Lauf zitternd zu verschwimmen schienen. Es erinnerte sie an ein impressionistisches Gemälde.
    Sie hatte sich Afrika nie so sattgrün noch seinen Himmel so sattblau vorgestellt.
    Ihre Bilder, soweit sie welche hatte, waren in Braun- und Orangetönen gehalten, dazwischen vielleicht ein paar Sprengsel Urwald, H. Rider Haggard und seinen in Afrika spielenden Abenteuerromanen zu Ehren. Vielleicht hätte sie sich mehr den Büchern und Karten widmen sollen, die David mitgebracht hatte, anstatt mit einer wohlbekannten Mischung aus Verpflichtung und Schuldgefühl, Zuneigung und Angst sein schmales angeregtes Gesicht im Lampenschein zu beobachten. Sie hatte sich kaum Gedanken über Afrika gemacht. Sie hätte Bücher darüber lesen, Leute danach fragen können, aber sie hatte sich nicht die Mühe gemacht. Wenn sie an die Reise nach Afrika gedacht hatte, dann hatten ihre Gedanken nicht Afrika gegolten.
    Der Wind drehte und blies eine Rauchfahne direkt zu ihr hinein.
    Vom beißenden Qualm musste sie husten. Schnell zog sie den Rollladen wieder hinunter. Ihr Taschentuch war schwarz, als sie es vom Gesicht nahm. Sie lief stolpernd in das kleine Bad und säuberte sich so gründlich wie möglich, wobei sie es vermied, in den Spiegel zu sehen.
    So ein unscheinbares, fades Gesicht im Vergleich zu Beas strahlendem Liebreiz.
    Die Debütantin der Dekade
hatten die Zeitungen Bea genannt, voll Selbstzufriedenheit über die gelungene Alliteration. Sie war nicht nur einmal, sondern ein Dutzend Mal fotografiert worden: als Diana, als Circe, von Mondschein umflossen, als Braut in Spitzen und Orangenblüten.
    Addie versuchte, sich an die Bea von damals zu erinnern, an die lebendig bewegten Züge, aber das Einzige, was sie sich vor Augen rufen konnte, war die kühle Schönheit einer steifen Porträtfotografie, silberblondes Haar, das glatt und
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