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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House
Autoren: V Ludewig
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zwei javanesischen Ureinwohnern den Luftweg nahm, sprangen Deborah und Sebastian Branwell Ashby als Erste in das Sprungtuch. Einzeln folgten die anderen Ebu Gogo, und Laura schaute ihnen staunend nach, denn sie schienen das Ganze als heiteres Spiel zu betrachten, lachten und schlugen Saltos.
    Nachdem der letzte der Ureinwohner zum Kopfsprung angesetzt hatte, begaben sich Laura und Lucille auf die Turmbrüstung. Für Mowgli wurde eine Trage vom Hubschrauber abgeseilt.
    »Weiß die Welt jetzt Bescheid?«
    »Was meinst du?«
    »Hast du denen die Wahrheit gesagt?«
    »Du meinst   …?«
     
    Was Hector Slasher schon seit Jahren beschäftigte, waren nicht die Fakten in Lucille Shalotts Biografie, sondern die Abwesenheit gewisser Fakten. So gab es erstaunlicherweise keinerlei Berichte oder Gerüchte um Liebschaften oder Beziehungen der Künstlerin. Niemanden schien Lucille Shalotts Liebesleben zu interessieren. Außer ihn. Es gab eigentlich nur eine Deutungsmöglichkeit. Lucille Shalott war lesbisch und ihr Liebesleben eines der großen Geheimnisse, die es für ein Gentleman-Arschloch wie ihn aufzudecken galt. Eine Zeit lang hatte er sogar geglaubt, dass es sich bei Laura Shalott keineswegs um Lucilles Schwester, sondernum ihre heimliche Geliebte handelte, doch die Analyse einer DN A-Probe , die er bei einem seiner Höflichkeitsbesuche geraubt hatte, hatte eindeutig ergeben, dass die beiden ein Geschwisterpaar waren.
    Hector Slasher hatte keine Ahnung gehabt, wie gefährlich nah er der wirklichen Auflösung des Rätsels gekommen war, befand er sich doch im Besitz authentischer Lucille-Shalott-DNA.   Eine gründlichere Untersuchung hätte seinen Wissensdurst ein für alle Mal gestillt und ein Presseecho hervorgerufen, das ihn schlagartig berühmter und berüchtigter gemacht hätte als jeder andere verkommene Bericht seiner Laufbahn.
    Eine genauere Betrachtung von Lucille Shalotts DNA hätte Folgendes an den Tag gebracht: Aufgrund einer Mutation ihres Androgen-Rezeptoren war ihr Körper außerstande, auf die Ausschüttung männlicher Hormone zu reagieren, und das, obwohl sich bei ihr im Embryonalstadium ein Hoden entwickelt hatte. Die komplette Blockade des Rezeptoren hatte zur Folge, dass sich ihre äußere Körperstruktur weiblich ausbildete, während die inneren Fortpflanzungsorgane männlich angelegt waren. Lucille war intersexuell.
    Der einzige Vorteil, den sie darin sah, war, dass sie von der Menstruation verschont blieb. Und vom Sex.
     
    »Natürlich, Lucille. Es stand in jeder Zeitung. LUCILLE SHALOTT IN WAHRHEIT SCHWANZMÄDCHEN.   Für was für ein Monster hältst du mich eigentlich?«
    Einen Moment lang hatte Lucille wirklich angenommen, dass Laura ihr Geheimnis verraten hätte. Doch dann begriff sie, dass ihre Schwester einen Scherz gemacht hatte. »Weißt du   – vielleicht war ich dir gegenüber nie gerecht. Vielleicht hätte ich dich dein eigenes Leben lassen sollen.«
    »Wenn das heute nicht unser Ende wird, dann vielleicht ein Anfang.«
    »Einen Versuch ist es wert.«
    Steerpike hatte dem Hund den Tragegurt angelegt und dem Hubschrauberpiloten signalisiert, ihn emporzuziehen. »Bitte, meine Damen   – wir haben keine Zeit zu verlieren. Lucille, wenn ich Sie bitten dürfte?«
    Sie erhob sich, und in der Schwerfälligkeit ihrer Bewegung sahen die beiden die Spuren des Unfalls und die Last ihrer gesamten Existenz.
    »Das Sprungtuch ist frei.«
    Sie zögerte, aber es war nicht Angst, die sie zurückhielt. »Danke, Steerpike, für alles.«
    »Es war mir eine Ehre.«
    Zum ersten Mal in ihrem Leben entlockte die Ehrerbietung eines Verehrers Lucille Shalott eine Träne. Doch dann besann sie sich ihrer preußischen Disziplin, nickte den beiden zu und warf sich anmutig in die Tiefe.
    »Da sind wir zwei wohl wieder allein.« Sie hatte das Bedürfnis, die richtigen Worte zu finden, um sich bei Steerpike zu bedanken. Und weil sie diese bedachtsam wählen wollte, kam es dazu, dass sie niemals ausgesprochen wurden. Noch während Laura über die perfekte Formulierung nachdachte, sackte der Turm in einer abrupten Abwärtsbewegung einen halben Meter nach unten und riss der Steinboden, sodass die Flammen unkontrolliert emporschossen. Laura stürzte rücklings von der Brüstung. Das Letzte, was sie sah, war Steerpikes entsetzter Blick, dann seine Aufwärtsbewegung. Er schien emporgehoben zu werden, getragen, dann waberten Rußwolken, Asche regnete, jemand schrie, eine Stichflamme verwandelte sich in einen Feuerball und
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