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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House
Autoren: V Ludewig
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Exzentrizitäten gewähren ließ.
    Deborah und Sebastian hatten sich für ihr Zusammenleben und ihre gemeinsamen Taten ein Haus erbaut, das die Bauweisen und Inneneinrichtungen vergangener Epochen zitierte und offenbar auch den Dämonen der Vergangenheit eine neue Heimat bot. So wie in der Alchemie das Zusammentunverschiedenster Ingredienzen eine neue, andersartige Substanz erzeugt, öffnete die Zusammenstellung der Gegenstände und Materialien in Ashby House ein Tor in eine Dimension, von der wir wenig wissen, weil die, die sie bewandern, ungern Zeugnis darüber ablegen oder die Gelegenheit zur Dokumentation nicht wahrnehmen oder nicht wahrnehmen können.
    Zu Deborah und Sebastians Schicksal sei nur so viel gesagt: Auf den Tag genau dreiundvierzig Jahre nach ihrem Einzug fehlte von ihnen plötzlich jede Spur. Lady Deborahs Zofe Guinevere, die in ihrer fast fünfzehn Jahre währenden Dienerschaft niemandem gegenüber hatte verlauten lassen, dass Sebastians Zimmer in all den Jahren nie benutzt worden war, entfernte die Wachsspuren auf dem Korridor zum Turmzimmer, schloss die Haustür hinter sich ab, steckte den Schlüssel in die Tasche ihres Rockes, wo er bei jedem Schritt kalt gegen ihren rechten Oberschenkel schlug, und ging geradewegs nach London, wo sie nur wenige Monate später erfolgreich ein Freudenhaus leitete, das sich auf die skurrileren Wünsche seiner Klientel spezialisiert hatte. In Guineveres linker Rocktasche befand sich eine letzte handschriftliche Notiz von Deborah an ihren Stiefbruder, worin in ihrer charakteristischen spinnennetzartigen Schrift geschrieben stand: »So iss doch wenigstens das Fleisch auf.«
    Von all den Abenteuern, die Deborah und Sebastian Branwell gemeinsam erlebt hatten, nahmen sie das Geheimnis ihres allerletzten mit an den Ort ihrer Reise ohne Wiederkehr.
     
    Doch nicht die Lebensgeschichte der Ashbys ist es, die uns vor die Tür des Turmzimmers in Ashby House bringt, sondern die Erlebnisse seiner späteren Bewohner, die über Umwege in den Besitz der ruchlosen Immobilie kamen.

TEIL 1
ANKUNFT UND ANDERE ERSCHEINUNGEN

 
    Here we go   – some things are inevitable
    Carlisle

KAPITEL 1
    »Das kannst du unmöglich ernst meinen, Lucille!«
    Das Knirschen der Räder des Rollstuhls auf dem Kies verstummte abrupt, als Laura Shalott in der Auffahrt zu Ashby House stehen blieb. Für einen Moment blieb es still   – nur die Kälte klirrte   –, bis sich eine Krähe aus einem der zwölf knorrigen Apfelbäume, die den Weg säumten, erhob und ihr archaisches Krächzen ausstieß.
    »Ach, sei still«, herrschte Lucille ihre entsetzte Schwester an, »und schieb gefälligst weiter. Oder willst du, dass ich erfriere?«
    Tatsächlich lag die Außentemperatur an diesem Vormittag bei minus zehn Grad Celsius, und tatsächlich war es vorstellbar, dass Laura gerade über eine natürlich erscheinende Todesart für ihre Schwester sinnierte. Ein außergewöhnlich kalter Winter hatte die Insel im Griff. An diesem Januarmorgen war die Sonne gerade erst aufgegangen, und die Eiseskälte drang selbst durch die dicken Pelzmäntel der beiden Frauen. Von Westen her scheuchte der Wind feuchte Meeresluft auf, die, gefrierend, wie Stecknadeln auf die ungeschützten Gesichter der Schwestern einstach. Lauras Finger schmerzten in den dünnen Lederhandschuhen, als sie die Griffe des Rollstuhls wieder umfasste und widerwillig, übellaunig und gegenden Widerstand der Kieselsteine ihre Schwester in Richtung des Dienstboteneingangs auf der Rückseite des Hauses schob. Noch hatte man keine architektonische Lösung gefunden, die es Lucille ermöglichte, ihr neu erworbenes Haus standesgemäß durch das Hauptportal zu betreten.
    »Ich kann es nicht glauben! Du kaufst ein Haus am Ende der Welt und dann auch noch so einen grotesken Kasten, der aussieht wie aus einem Schauerroman! Was hast du dir bloß dabei gedacht?«
    Tatsächlich schien sich das Gebäude, dessen verwitterte graue Mauern in das Gerippe einer längst verstorbenen Weinranke gekleidet waren (oder von ihr gehalten wurden), zusammenzukauern, als wolle es sich gleich zu voller Größe aufrichten und auf seine neue Besitzerin zuspringen. Jahre des Leerstehens hatten nicht dazu beigetragen, Ashby House in einen Ort zu verwandeln, der einen willkommen hieß. Im Gegenteil, sie schienen den abweisenden Charakter des Hauses eher bekräftigt als besänftigt zu haben.
    »Sei still und beeil dich. Sei froh, dass du überhaupt ein Dach über dem Kopf hast. Ich könnte
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