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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House
Autoren: V Ludewig
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»Queen Elizabeth« zu seinem Zug zu begleiten, doch, sich seiner neuen Beliebtheit nur allzu bewusst, hatte Steed dankend abgelehnt und schritt nun Arm in Arm mitdem charismatischen demokratischen Vorgänger des regierenden Präsidenten die Gangway hinab.
     
    Nach mehr als sechzig Jahren der Abwesenheit kehrte auch Greta Garbos ehemaliges Lichtdouble nach Hollywood zurück. Jeraldine Dvorak arbeitet seitdem im Gartenhaus der Shalotts an einem Roman über zwei Schwestern, die sich in einem Spukhaus im ländlichen Cornwall wiederfinden, und beabsichtigt, nach Fertigstellung des Romans die Arbeit an ihrer Autobiografie in Angriff zu nehmen. Stephen Steed hat die Filmrechte für beide Stoffe bereits erworben und plant, Lucille Shalotts erste Regiearbeit zu produzieren.
     
    Deborah Ashby und Sebastian Branwell Ashby fanden es nicht leicht, sich im 21.   Jahrhundert zu akklimatisieren. Die britische Regierung, zum ersten Mal offiziell mit Zeitreisenden konfrontiert, schritt ein und startete ein Resozialisierungsprogramm, doch der Schock, den das Geschwisterpaar erlitten hatte, war zu groß. Das England, in dem sie sich wiederfanden, war nicht mehr ihr England. Der technische Fortschritt, für den sie in ihrer Zeit gekämpft hatten, überforderte sie. Rolltreppen, Fernseher, Mobiltelefone und Ronan Keating im Radio   – der permanente Elektrosmog legte sich über ihre Herzen, und wie bei Tieren, die man in Freiheit eingefangen hat und in einen Zoo sperrt, wurden ihre Haare stumpf und ihre Augen glanzlos.
    In rücksichtsvollen Verhören in Anwesenheit von Psychiatern und Neurologen hatten sie beteuert, dass sie das Projekt der Domestizierung der Ebu Gogo nicht aus ausbeuterischen Motiven verfolgt hatten. Es sei ihnen daran gelegen gewesen, die Kinderarbeit in den Minen abzuschaffen   – Friedrich Engels und das Minenunglück in St. Justhatten einen starken Eindruck bei den Industriellen hinterlassen   –, doch aufgrund der schwach ausgebildeten Intelligenz der Ebu Gogo und ihrem eigenen Unvermögen, sie zu verbessern, waren sie nach einigen Jahren und unzähligen Lehrern (Miss Mills, Miss Gulch, Mister Durbeyfield) von dem Plan abgekommen. Zudem hatten sie festgestellt, dass die Ebu Gogo sich zwar nicht als Minenarbeiter eigneten, aber über eine Reihe von anderen Fähigkeiten verfügten: Ihre Begabung bestand im kreativen und äußerst sorgsamen Umgang mit Baumaterialien. Das Mosaik in Ashby House war ihr bis dato größtes Werk, und nach seiner Zerstörung geben nur die Fotos, die Laura Shalott und Steerpike bei ihrer Expedition in den zweiten Stock von Ashby House zeigen, Zeugnis von der Genialität der Ureinwohner Javas, was die kunsthandwerkliche Bricolage angeht.
    Die staatlichen Instanzen befanden, dass die Ashbys des geplanten Menschenhandels und der Entführung unschuldig waren, zumal sie sich nachweislich gut um ihren Java-Import gekümmert hatten und weil die Ebu Gogo im Grunde ohnehin nicht der Gattung des Homo sapiens angehörten, man also gar nicht von »Menschen« sprechen konnte.
    Diese Einschätzung wurde untermauert durch Skelettfunde auf der Insel Flores im Oktober 2004.   Forscher hatten die Überreste eines ausgestorben geglaubten Volksstammes entdeckt, und noch heute ist die Wissenschaft in zwei Lager gespalten: jene, die annehmen, dass der Ebu Gogo ursprünglich ein Homo Sapiens war, der auf seiner Insel aufgrund des begrenzten Nahrungsmittelangebots evolutionär verzwergte (wie z.   B. die nur bambigroßen Weißwedelhirsche der Florida Keys), und jene, welche die Ansicht vertreten, dass es sich bei den Ebu Gogo um eine Gattung handelt, die sich parallel zum Homo sapiens entwickelt hat.
    Die Schriftwechsel, die die Gemeindesekretärin Kathy Claighbourne übergeben hatte, bewiesen, dass den Ashbys   – im Gegensatz zur damaligen Regierung   – an einer menschenwürdigen und respektvollen Behandlung der Homo floresiensis, wie man sie jetzt nannte, gelegen gewesen war. Der Antrag auf Bezeichnung der Spezies als Homo ashbyensis wurde abgelehnt.
     
    Nur eine Ebu Gogo hatte Lucille Shalott nicht nach Hollywood begleiten wollen. Es handelte sich um die weißhaarige Lucy Gray, die aufgrund ihrer hellen Hautfarbe eine besonders sorgsame Pflege benötigte. Dank der Intervention der anglikanischen Kirche und des Prinzen von Wales war man zu dem Schluss gekommen, dass eine weitere Erforschung der ausgestorben geglaubten Spezies verlockend sei und idealerweise im Herkunftsland stattfinden sollte,
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