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Ashby House

Ashby House

Titel: Ashby House
Autoren: V Ludewig
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Claighbournes elektrischem Kamin verbracht. Während im Hintergrund der Fernseher läuft, drehen sich bei starkem Tee und Walker’s Biscuits die Gespräche um alles andere als Ashby House. Laura bereitet Jeraldine auf die Ankunft in Beverly Hills vor, erklärt ihr die Namen der Angestellten, die sich, solange Lucille noch in der Schweiz weilt, um sie kümmern werden, beschreibt die Sicherheitsvorrichtungen des Anwesens und die dramatischen Veränderungen imStadtbild von Los Angeles, das sich in den sechzig Jahren von Jeraldines Abwesenheit in eine smoggeschwängerte Industriestadt verwandelt hat.
    Gegen ein Uhr morgens begeben sich die Damen auf ihre Zimmer, doch irgendetwas anderes als die Wirkung des Tees hält jede Einzelne vom Einschlafen ab. Bei Jeraldine Dvorak mag es die Angst vor ihrem ersten Transatlantikflug sein. Kathy Claighbourne sorgt sich, wie ihr Leben wohl aussehen wird, wenn die beiden Gäste ihr Haus verlassen haben werden. Hat sie in ihnen Freundinnen fürs Leben gefunden oder wird sie sich, wenn die schillernden Amerikanerinnen verschwunden sind (niemand in diesem Haus benutzt das Wort »verschwinden« noch unbefangen), wieder in die gutmeinende Gemeindesekretärin zurückverwandeln, deren Zukunft keine Überraschungen, und wenn, dann nur unangenehme bereithält? Laura Shalott plagt eine andere Frage. Wann wird Hector Slasher sein Schweigen brechen? Seit den schrecklichen Geschehnissen in Ashby House sind zwei lange Wochen vergangen, in denen sich Slasher nie öffentlich geäußert hat. Warum nicht?
    Die andere Frage, die sie am Einschlafen hindert, ist, wie lange sie ihm noch fernbleiben kann, ohne dass ihr zermürbtes Herz auseinanderbröselt wie die Walker’s Biscuits, die ihre Gastgeberin zum Tee serviert? Die Erinnerung an den Sex mit ihm auf dem Tisch im »Star Inn« will sich einfach nicht verdrängen lassen. Immer wieder steigen die Bilder hoch und entfachen ihre Begierde und ihr Besitzdenken. (Laura ist kein Mensch, der leiht, sie ist jemand, der kauft.) Und in diesen Momenten, in denen sie sich eingesteht, dass sie ihn will, dass sie ihn braucht, dass sie sich nach ihm verzehrt, folgt umgehend das Gefühl von Schuld   – alles in allem ein vertrautes Sentiment. Gerade, als ihr Geist bereit ist,Ruhe zu geben und ihren Körper endlich schlafen zu lassen, entsteht vor ihrem inneren Auge ein Bild, das in seiner Plastizität erschreckend und in seinen Ausmaßen geradezu monströs ist. Verliert Laura den Verstand? Ihre Vision ist unwirklich, surreal. Doch was, nach all den Erlebnissen der vergangenen Wochen, ist schon noch »Realität«? Hat sie nicht selbst gesehen, dass es Wirklichkeiten gibt, für die kein realistischer Ausdruck existiert, an denen die Methoden und Maßgaben der modernen Wissenschaft scheitern?
    Keine fünfzehn Minuten später, sie hat nur einen Mantel über ihr Nachthemd geworfen, ihre Handtasche genommen und das Haus verlassen, ohne die Tür hinter sich abzuschließen, greifen ihre behandschuhten Finger nach einem Stein, nehmen ihn auf und schlagen mit ihm ein Küchenfenster des »Star Inn« ein. Ein Hund bellt   – sie denkt an Mowgli. Er fehlt ihr. Nichts regt sich im Lokal, und so bricht sie die Scheibe vorsichtig heraus, legt die Scherben leise zu Boden und steigt ein.
    Sie ärgert sich darüber, keine Taschenlampe mitgenommen zu haben, und tastet sich vorsichtig durch die dunkle Küche. Im Flur angelangt, wirft sie einen Blick in den Schankraum und muss lächeln, doch das Knarren einer Bodenplanke wischt ihr das Lächeln vom Gesicht. Sie bleibt stehen, wartet einen Moment und geht weiter, vorsichtiger. Die Tür zum Büro steht offen, auch hier ist es dunkel. Das Licht einer einzelnen Straßenlaterne lässt die Umrisse der Möbel erahnen, sodass Laura sich zu Hector Slashers Schreibtisch vortasten kann, ohne irgendwo anzuecken. Sie weiß nicht, warum, aber sie ist sicher, dass sie hier finden wird, was sie sucht.
    Sie öffnet die Schublade, nimmt einen Stapel Briefpapier heraus und spürt durch den dünnen Handschuh die Einkerbung im Holz. Es muss einen Mechanismus geben   … Mitder anderen Hand sucht sie nach der Feder, die das Geheimfach öffnet, betätigt sie, hört das Schnappen und sieht ein opulentes Funkeln, bevor die Straßenlaterne draußen vor dem Fenster unvermittelt erlischt. Laura, erschrocken über die plötzliche Stockfinsternis, entfleucht ein kleiner Schrei, und nur den Bruchteil einer Sekunde später geht das Deckenlicht des Büros
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