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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz
Autoren: Nina Blazon
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tat unendlich gut. Sie war verletzt und müde, sie war sterblicher, als sie es jemals sein wollte, aber als sie an Loved dachte, war sie der glücklichste Mensch der Welt.
    Jetzt war Moira tatsächlich fassungslos. Sie verschränkte die Arme und schüttelte missbilligend den Kopf. »Mann Nummer drei? Den von gestern nicht eingerechnet? Du lernst es wohl nie!«
    Summer lachte. »Ich schulde ihm etwas. Ein Leben. Und einen Tod. Und außerdem … liebe ich ihn, Moira. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich weiß, wo ich ihn finde.«
    Die Kriegslady sah Summer lange an, dann entspannten sich ihre Züge. Sie seufzte tief. »Du bist ohnehin zu stur, um dich davon abbringen zu lassen. Aber dann lauf wenigstens nicht wie ein blinder Hase in die Wolfsmeute.« Mit einem schnellen Griff hatte sie die Pistole aus dem Holster geholt und drückte sie Summer in die Hand. »Entsichern mit dem Hebel«, erklärte sie knapp. »Und ich rate dir, überlege nicht zu lange, wenn es um dein Leben geht. Schieß, bevor dein Gegner dir zuvorkommt!«
    Summer wog die Waffe in der Hand, dann steckte sie sie ein. »Danke.«
    Moira nickte nur knapp und ging ohne einen Gruß. Immer noch strahlte ihre ganze Haltung Missbilligung aus. Doch Summer hatte sich ihr noch nie so nah gefühlt wie in diesem Augenblick. Als könnte ich ihr Herz sehen , dachte sie. Ein warmes Licht, gut verborgen hinter Festungsmauern.

    »Moira?«, rief sie. »Warum hast du mir geholfen?«
    Die Kriegslady blieb stehen und drehte sich noch einmal um. »Lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie dir, wenn all das hier vorbei ist. Und du mir meine Waffe zurückgibst. Sie ist nämlich nur geliehen, nicht geschenkt!« Natürlich klang es wie eine ernsthafte Ermahnung, aber sie entfachte ein Lächeln in Summers Gesicht. Ein Versprechen war ein Versprechen. Und wenn es aus Moiras Mund kam, das wusste sie seit gestern ganz sicher, dann war es in Stein gemeißelt. Sie konnte sich nicht verkneifen, ihr noch einen Satz hinterherzurufen. »He, Diplomatin! Vergiss nicht, auch selbst mit jemandem Frieden zu schließen!«
    Moira schnaubte verächtlich und winkte ab. »Noch mehr Belehrungen, Zorya?«, rief sie über die Schulter. »Wenn ich Ratschläge von einer Verrückten wie dir gebrauchen kann, dann sage ich es schon.«
    Summer blickte ihr nach, bis sie das Boot wieder erreicht hatte. Farrin erwartete sie bereits. Und obwohl er wusste, dass Moira die letzte Frau auf der Welt war, die beim Einsteigen in ein Boot Hilfe benötigte, streckte er die Hand aus. Summer konnte nur ahnen, wie viel Stolz den Nordländer diese Geste kostete. Moira zögerte. Eine ganze Weile, die Summer wie eine Ewigkeit vorkam, standen die beiden nur da und blickten sich an, während der Wind an ihren Haaren zerrte und die Strömung das Boot gegen den Fels drückte. Dann streckte die Kriegslady die Rechte aus und ergriff die Hand des Offiziers. Und auch als sie nebeneinander im Boot standen, ließen sie einander nicht mehr los.

libellen im schnee
    N ach einer Weile streifte sie die Fäustlinge ab und vergrub die Hände in den Taschen. Anfangs hielt sie die Waffe darin noch fest umklammert, doch nach einer Weile war sie sicher, dass sich niemand in diese felsige Küstengegend verirrt hatte. Zumindest dieser Gedanke beruhigte sie. Das Einzige, was ihr nun wirklich Angst machte, war die Vorstellung, dass Loved nicht mehr in der Ruine sein könnte. Ohne viel Hoffnung hatte sie nach Anzej gerufen, doch nur der Wind antwortete ihr. Was, wenn Loved zum Hafen aufgebrochen war? Was, wenn sie ihn nicht fand? »Beruhige dich«, redete sie sich selbst zu. »Selbst wenn er fort ist. Du hast ein ganzes Leben Zeit, ihn zu finden.« Doch die Sehnsucht war so stark, dass ihre eigenen Worte ihr wie eine Drohung vorkamen.
    Die Nacht legte sich im Norden so schnell über das Meer und die Felsen, dass es ihr so schien, als wäre sie erst wenige Minuten unterwegs. Sie hatte aufgehört, ihre Schritte zu zählen, und konzentrierte sich ganz darauf, die Fersen nicht zu hart aufzusetzen. Moira hatte nicht übertrieben. Die Betäubung des Medizintranks begann nachzulassen, bei jeder unbedachten Bewegung pochte die Wunde. Summer biss die Zähne zusammen und erinnerte sich an all das, was Loved sie über das Leben außerhalb sicherer Mauern
gelehrt hatte. Nach und nach schien es um sie herum heller zu werden, und als sie den Blick vom verschneiten Boden hob, sah sie, dass sich Polarlicht wie ein faltiger weißgrünlich leuchtender Vorhang über
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