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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix
Autoren: Kai Meyer
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bis abends vorm Fernseher hocken.« Sie verzog das Gesicht. »Außer nachmittags, dann sitzt er am Fenster und beobachtet die Mädchen, wenn sie aus der Schule kommen. Gibt ’ne Menge indische und pakistanische Familien hier in der Gegend.«
    Parker schaute sich in dem engen Wohnzimmer um. Ein alter Röhrenfernseher, ein türkisfarbenes Stoffsofa, ein Sessel aus Kunstleder. Eine Kommode, darauf gerahmte Familienfotos in Plastikrahmen.
    »Die Lage ist nicht schlecht.« Niedlich, wie er versuchte, was Nettes zu sagen.
    Ash lehnte sich im Küchendurchgang an den Rahmen und verschränkte die Arme. »Dann hast du als Kind auch immer von einer Hauptstraße vor dem Fenster geträumt?«
    »Immerhin ist es nah an der City, und bei den Londoner Wohnungspreisen –«
    »Sag ruhig, dass du die Einrichtung scheußlich findest.«
    Sobald er in Erklärungsnot geriet, bekam er einen gewissen hilflosen Charme. Gespräche wie dieses war er offenbar nicht gewohnt. »Sind bestimmt Familienerbstücke, oder? Das Sofa –«
    »Darauf schläfst du.«
    »Prima.« Sein Lächeln war schief.
    »Gibt’s was daran auszusetzen?«
    »Alles super.« Er trat vor die Fotos und streckte die Hand nach einem aus.
    »Nichts anfassen!«, sagte Ash.
    Wie ein ertappter Ladendieb riss er die Hände hoch. »Ich wollt’s ja nicht mitnehmen.«
    »Niemals irgendwas berühren, okay? Ist eine ganz simple Regel. Wenn du dich daran hältst, kannst du bis morgen früh hierbleiben.«
    Er beugte sich vor, um die Fotos zu betrachten, ohne sie hochzuheben. »Sind das deine –«
    »Nein. Meine Mutter hab ich seit Jahren nicht gesehen. Sie lebt mit ihrer Familie 2.0 oben in Newcastle. Und mein Vater ist im Gefängnis.«
    Wieder dieses hastige Lächeln. »War meiner auch schon. Für drei Tage, während seiner wilden Zeit , sagt er. In San Francisco. Ist lange her.«
    Ash verzog keine Miene. »Meiner sitzt seit zwölf Jahren.«
    »Wow.«
    »Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen, jedenfalls für eine Weile.«
    Er deutete auf eine alte Frau mit schlimmem Übergewicht. »Ist sie das?«
    »Nein!«, entfuhr es Ash empört.
    Daraufhin runzelte er die Stirn und machte einen Schritt von den Fotos fort. Unschlüssig blieb er mitten im Raum stehen.
    »Setz dich«, sagte sie. »Nur nichts anfassen, nichts angucken und keine Fragen stellen.« Mit dem sicheren Gefühl, dass es ein Fehler gewesen war, ihn herzubringen, wandte sie sich von ihm ab und betrat die winzige Küche. »Was zu trinken?«
    »Bitter Lemon. Oder Cola.«
    »Tut’s Leitungswasser?«
    »Unbedingt.«
    Allmählich machte es ihr Spaß, ihm zuzusehen, wie er es ihr recht machen wollte. Für ihren Einbruch in seine Suite waren sie quitt, dafür durfte er hier schlafen. Aber wegen dieser Sache in der U-Bahn schuldete er ihr etwas. In erster Linie Erklärungen.
    Im Kühlschrank benutzte sie nur das untere Fach, niemals eines der anderen. Es war gefüllt mit Cadbury-Riegeln, Muffins in Plastikfolie und mehreren Dosen eines Energydrinks mit Kirschgeschmack. Sie ernährte sich von kaum etwas anderem. Eine Dose nahm sie heraus und trank sie in einem Zug bis zur Hälfte leer. Dann holte sie ein Glas aus dem Schrank, füllte es am Wasserhahn und nahm es mit zu Parker hinüber ins Wohnzimmer.
    »Vorsicht mit dem Glas«, sagte sie. »Ja nicht fallenlassen.«
    Zweifelnd sah er sie an. »Wo ich herkomme, benutzen wir auch Gläser. Und wir werfen sie nicht an die Wand, wenn sie leer sind.«
    Sie stellte es in die Mitte des Couchtischs, so weit wie möglich vom Rand entfernt. »Sei einfach vorsichtig.«
    Parker rührte das Wasser nicht an und lehnte sich auf dem Sofa zurück. »Das ist nicht deine Wohnung.«
    »Du kannst hier schlafen. Reicht das nicht?«
    »Hast du den Schlüssel geklaut?«
    Sie hockte sich ihm gegenüber im Schneidersitz auf den Sessel. Das Kunstleder war von einem Netz aus Brüchen und Rissen überzogen. »Nein.«
    »Kennst du die Leute, die hier wohnen?«
    »Nein.«
    »Also bist du eingebrochen.« Er wurde ein wenig blass um die Nase. »Shit, ich bin hier eingebrochen!«
    »Willkommen in der Wirklichkeit, Parker Cale.« Sie beugte sich über die Armlehne und angelte nach ihrem Rucksack. Als sie ihn vor sich auf dem Schoß liegen hatte, holte sie ihre Polaroidkamera hervor. Die Filme dafür wurden schon lange nicht mehr hergestellt, aber in London konnte man hier und da noch welche finden, meist in Import-Export-Läden.
    Sie richtete das Objektiv auf Parker und fotografierte ihn. Als das Bild vorne
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