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Arschloch!

Arschloch!

Titel: Arschloch!
Autoren: Mauricio Borinski
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Auch nach der Kurve ist kein Auto vor mir. Nicht zu fassen. Ich trete auf das Gaspedal bis mein Tacho 100 anzeigt und donnere über die Straßenkreuzung am Albersloher Weg. Kurz vor der Watusi Bar setze ich den Blinker, gehe voll in die Eisen und biege rechts ab, fahre direkt auf das Pierhouse zu, dann geht es nach links, vorbei am ehemaligen Dockland und am Beach, der im Sommer der schönste Ort der Stadt ist und an dem ich gerne mein Feierabendbierchen trinke. Gleich dahinter beginnen die Osmohallen, Industrieanlagen, die leer stehen und von einem Insolvenzverwalter an Gastronomen verpachtet werden. Bin gespannt was dort entsteht. Im nächsten Jahr haben wir die Fußball-WM im eigenen Land. Die Welt zu Gast bei Freunden. Menschenaufläufe wie bei den Nazis und wenn dann ein Tor fällt, dann heben wir nicht nur einen, sondern gleich zwei Arme. Das wird bestimmt der Hammer. I like it jetzt schon.
    Direkt hinter den Hallen befindet sich der Parkplatz meines Arbeitgebers und einen Moment später stehe ich zwischen Annes roten Nissan Primera und dem blauen Opel Corsa, der Yasmin gehört. Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel und begutachte meine Frisur. Ich hätte mir ein bisschen mehr Mühe geben sollen, aber leider hatte ich nicht viel Zeit. Naja, vielleicht ab morgen. Dann sitzt auch die Frisur. Selbst bei den Zotteln, die ich momentan habe. Ich muss dringend mal wieder zum Friseur und auf die blonden Strähnen habe ich mittlerweile auch keine Lust mehr. Ich steige aus und als ich über den Parkplatz laufe und meinen Wagen lässig per Fernbedienung abschließe, fällt mein Blick auf mein Nummernschild. MS-MB-69. MB sind zum einen meine Initialen, zum anderen stehen sie für >My Balls<. Meine Karre. Meine Eier.
    Ich betrete die Eingangshalle und rufe den Fahrstuhl. Einen Moment später sehe ich, wie er durch die Decke saust. Die Tür öffnet sich, niemand kommt mit ihm herunter, ich betrete ihn. Im Fahrstuhl riecht es nach Furz. Die Tür schließt sich und dann geht es auf in die letzte Etappe vor dem Ziel. Meinem Arbeitsplatz im Callcenter. Ich bin Teil eines freundlichen Teams, das aus mehr als 50 jungen, hochmotivierten Mitarbeitern besteht, von denen jeder seine individuellen Fähigkeiten und Interessen einbringt. Wir verkaufen Spielzeug, Fan-Artikel, Postkarten, Poster, Kostüme, Masken, Partyzubehör und ein paar elektrische Geräte für den privaten DJ Bedarf. Der Spaßfaktor in unserem Job ist riesig, jedenfalls wenn man unseren Katalog aufblättert und einen Blick auf die tollen Fotos wirft. In Wahrheit sieht es anders aus. Ungefähr so wie in jeder anderen Firma. Ziemlich beschissen. Mit Spaß hat das nichts zu tun. Es ist sicherlich kein Zufall, dass es im Fahrstuhl bis zum Himmel stinkt. Auf der dritten Etage kommt er zum Stehen, die Tür öffnet sich, ich atme tief durch, gehe ins Callcenter und schicke ein lautes >Frohes Neues< durch das mit Neonlicht geflutete Großraumbüro. Ich gehe vorbei an weißen halbhohen Trennwänden und in meine Zelle, die neben einem Schreibtisch mit Schubladenelement auch noch einen Computer zu bieten hat. Ein FHM Kalender und ein riesiges Foto von den Alpen geben den billigen weißen Kunststoffplatten etwas Heimeliges.
    Ich setze mich auf meinen Drehstuhl und fahre meinen Computer hoch, ziehe meine Jacke aus, hänge sie an meinen Haken an der Trennwand und hole mir schnell eine Tasse Kaffee, denn sonst geht gar nix. Als ich wieder an meinen Arbeitsplatz komme, ist es soweit: Es ist 8 Uhr, 58 Minuten, 47 Sekunden, als ich mich einstempele. Grade noch rechtzeitig. Ich wähle mich ein, sodass ich Kunden bedienen kann und einen Moment später klingelt auch schon das Telefon. Ich setze mein ultraleichtes Design-Headset auf, das ausgezeichnete Klangqualität bietet. Ich habe überhaupt keine Lust, aber als ich das Gespräch annehme, bin ich freundlich wie immer.
    „Herzlich willkommen bei Lift. Mein Name ist Moritz Becker. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“, sage ich in dem Ton, der mir während der zahlreichen Verkaufsschulungen beigebracht wurde. Der Ronny aus Hoyerswerda ist am anderen Ende der Leitung und will wissen, was mit seiner Bestellung ist. „Du hast vor zwei Wochen etwas bei uns bestellt und es ist immer noch nicht angekommen? Das gibt‘s doch gar nicht!“
    „Guten Morgen, Thomas“, rufe ich meinem Arbeitskollegen und Zellennachbarn Thomas Blender zu, der unglaubliche Ähnlichkeit mit Oliver Pocher hat und heute ein paar Minuten zu spät zu seiner Schicht
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