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Arrivederci amore, ciao

Arrivederci amore, ciao

Titel: Arrivederci amore, ciao
Autoren: Massimo Carlotto
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Gefängnissen ein- und ausging, als dass ich ihm irgendwelche Märchen hätte erzählen können. Zu ihm war ich ehrlich. »Ich habe Angst. Ich weiß nicht, wie ich mich in dieser Welt zurechtfinden soll, sie ist anders, als ich sie kannte.«
    Er fixierte mich lange. »Ich habe in den letzten Jahren ein Auge auf dich gehabt. Du bist ein Mistkerl. Einer von den Schlimmsten.« Dann gab er mir ein paar Klapse auf die Knie. »Aber jeder hat eine zweite Chance verdient. Du kannst für eine Weile hier bleiben, aber wehe, du führst dich auf wie in San Vittore.«
    Ich bedankte mich bei ihm, und während ich mich zum Gehen wandte, fügte er hinzu: »Und spar dir die Mühe, so zu tun, als wärst du gläubig. Das ist hier nicht nötig.«
    Das Geld, das ich im Knast gespart hatte, zerrann mir zwischen den Fingern, und was ich im Kloster verdiente, indem ich für eine auf TV-Shopping spezialisierte Firma Schuhregale zusammenbaute, reichte nicht mal für Zigaretten. Jedes Mal, wenn ich ausging, war ich hinterher ein bisschen ärmer. Eine Trattoria als Abwechselung zu dem fürchterlichen Fraß, den bei den Mönchen ein Exjunkie-Paar zusammenkochte, eine Straßenhure als Ausgleich zu der erzwungenen Enthaltsamkeit im Knast, mehr konnte ich mir nicht leisten. Ich ging ins Stadtzentrum und sah stundenlang Leuten und Autos nach. Hier war wahnsinnig viel Geld unterwegs, die Leute troffen nur so vor Selbstsicherheit. Ich hingegen fühlte mich verloren. Ich versuchte, ein paar elegante Mittvierzigerinnen anzumachen. Mailand war voll von Frauen wie Régine, nur waren sie sehr viel anmutiger und aufreizender. Diät, Sportstudio, Friseur. Mich erregte, dass sie immer so miteinander wetteiferten, was Schönheit und Sinnlichkeit anging. Aber keine Hoffnung, auch nur bemerkt zu werden. Mir stand ins Gesicht geschrieben, dass ich ein Außenseiter war. Ich wollte mir eine Arbeit suchen, aber mir wurde klar, dass das kein gangbarer Weg war, sonst wäre ich für immer und ewig am Arsch gewesen. Wäre eine arme Sau geblieben. Ich hatte für die Zukunft etwas ganz anderes vor, als aus der Küchenecke eines Schnellimbisses mit nach Fett stinkenden Haaren der Welt zuzusehen. Geld. Ich brauchte Geld, um aus dem Scheißdreck rauszukommen, in dem ich gelandet war. Dann würde ich eine angesehene Position einnehmen und von Kopf bis Fuß picobello gekleidet durchs Zentrum spazieren, mit gelassenem Siegerlächeln. Denselben Irrtum wie alle, die ich in San Vittore gesehen hatte, würde ich nicht begehen: als kleiner Verbrecherarsch Geld machen zu wollen. Wer es so angeht, hat nur eine einzige Aussicht, nämlich den Knast. Nur wenn das Geld gesellschaftlichen Aufstieg versprach, war es wert, dafür vor Gericht gezerrt zu werden. Als ich noch bei meinen Eltern lebte, bevor ich in den Untergrund ging und mir das Gehirn zukleistern ließ, gehörte ich zu den besseren Kreisen von Bergamo. Wenn ich daran dachte, wie ich diese Gesellschaft verachtet und verspottet hatte, bekam ich Lust, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.
    Bald wusste ich nicht mehr weiter. Ich hätte nicht mal einfach irgendwo einbrechen können. Die Stadt war verriegelt und verrammelt, alles, wo man noch rankam, war fest in der Hand von Banden aus dem Osten, aus Nordafrika oder Asien. Der Priester zwang mich, einen Job in einer Kneipe anzunehmen. Das war mein Glück. Eines Morgens servierte ich einem alten Bekannten aus San Vittore einen Espresso. Er stammte aus Bari und hatte seine Haftstrafe verkürzt, indem er einen Boss der apulischen Mafia, der Sacra Corona Unita, verpfiff.
    »Und, wie geht’s so?«, fragte ich mit einem Blick auf seinen gut geschnittenen Anzug.
    »Mir gut«, antwortete er und schaute seinerseits auf meine Plastik-Armbanduhr. »Aber du, was machst du hier hinter der Bar? Das ist doch Verschwendung. Bist du krank oder was? Ein kräftiger junger Mann wie du könnte sich seine Brötchen auf eine etwas würdigere Art und Weise verdienen, oder?«
    Er hatte einen beleidigenden Ton angeschlagen, und ich hätte am liebsten das Messer genommen, mit dem ich die Zitronenschale runterschnitt, und ihm das Gesicht zerfetzt. Stattdessen lächelte ich ihn an. »Ich warte noch auf eine passende Gelegenheit.«
    Er trank seinen Kaffee, dann winkte er mich heran. »Ich habe im Veneto einen Laden aufgemacht, bei Treviso«, erklärte er. »Eine Lap-Dance-Bar, ein Lokal, wo hübsche Mädchen oben ohne tanzen, die Gäste sabbern und stecken ihnen Geldscheine in den Slip. Ich brauche jemanden,
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