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Arrivederci amore, ciao

Arrivederci amore, ciao

Titel: Arrivederci amore, ciao
Autoren: Massimo Carlotto
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brachten mich direkt zur Aufnahme, wo Anedda einem Unteroffizier etwas ins Ohr flüsterte, der sich zu mir drehte und mir zuzwinkerte. Der Häuptling der Spezialeinheit hatte ihm gesagt, was Sache war. Ich sollte auch für das Wachpersonal den Spitzel machen. Ein Beamter nahm mich beim Arm und führte mich zu einem Tresen, wo er ein Registerbuch aufschlug, das aussah, als stammte es aus dem neunzehnten Jahrhundert.
    »Nachname?«
    »Pellegrini.«
    »Vorname?«
    »Giorgio.«
    »Geburtsort und -datum?«
    »Bergamo, 8. Mai 1957.«
    Der Wachmann hielt inne. »Am achten Mai«, wiederholte er. »Heh, der da ist an Gilles Villeneuves Todestag geboren!«
    »Wusste ich nicht. In welchem Jahr war das?«
    Der Gefreite sah mich verblüfft an. »Vor zehn Jahren, 1982. Die größte Katastrophe der Motorsportgeschichte.« Er deutete auf eine Wand, wo mit dem Foto des Formel-1-Fahrers und Ferrari-Wimpeln ein kleiner Altar errichtet war. Dann zeigte er mit dem Finger auf meine Nase. »In diesem Büro hier ist man für den AC Milan und Ferrari, verstanden?«
    In San Vittore lebte ich mich sofort ein. Man konnte leicht eine ruhige Kugel schieben, Hauptsache, man beachtete die ungeschriebenen Gesetze und schiss auf den Rest. Sie gaben mir einen Besen und setzten mich in der Putzkolonne ein. Ich sollte den Gang fegen und die Augen offen halten, vor allem, was die Ausländer anging. Hin und wieder brachten sie mich in ein kleines Zimmer neben dem Wachraum und fragten mich über verschiedene Mitgefangene aus. Ich begriff schnell, dass der Trick darin bestand, über diejenigen, die in der Direktion keine Sympathien besaßen, schlecht zu reden, auch wenn sie sich nichts zuschulden kommen ließen. Mal erfand ich etwas, mal berichtete ich, was ich gesehen hatte. Dann und wann kreuzte Anedda auf, hatte Nachfragen, wollte Verschiedenes genauer hören. Wenn ich etwas brauchte, feilschte ich darum, alles in allem war dieser Bulle ganz locker. Bald nahm er die Gewohnheit an, mir eine Flasche Whisky mitzubringen. Er war mein einziger Besuch.
    Von meiner Familie kam nie jemand. Am Tag meiner Flucht nach Paris hatten sie mich verstoßen. Mein Vater hatte mir seine Verwünschungen nachgeschrien, als ich die Treppen unseres Mietshauses runter rannte, ohne mich noch einmal umzudrehen. Anfangs litt ich sehr darunter, aber dann hatte das Schicksal mich weitergetragen, und jetzt dachte ich nicht mehr daran.
    Den Standhaften, der den Tod des Nachtwächters auf sich nahm, kannte ich gut. Er hieß Giuseppe, einer, der sich nicht auf die Kronzeugenregelung eingelassen hatte, sondern Kommunist und Revolutionär geblieben war. Er hatte bei Dalmine gearbeitet, im Röhrenwerk, wie schon Vater und Großvater vor ihm. An der Küchenwand Fotos von Gewerkschafts- und Parteivorstand, von Lenin, Togliatti und Berlinguer. Dann hatte er einen anderen Weg eingeschlagen und war in den Untergrund gegangen. Ein Kronzeuge hatte ihn reingeritten, aber er hatte den Mund nur aufgemacht, um im breitesten Bergamasker Dialekt zu erklären, er sehe sich als politischen Gefangenen.
    Die in Paris hatten offenbar die Sparschweine geschlachtet. Sie besorgten mir einen Anwalt, der früher im »Soccorso rosso«, der linken Häftlings-Hilfsorganisation, aktiv gewesen war und jetzt als Mitglied einer neuen Mitte-Rechts-Partei ordentlich Karriere machte. Er sagte, er habe meinen Fall übernommen, weil Revisionen gerade in Mode seien, jede Menge Publicity einbrächten und er hier überdies konkrete Aussichten auf Erfolg sehe. Er erwies sich als äußerst geschickt, auch im Umgang mit der Presse. Die Tageszeitungen berichteten über mich und auch ein paar Illustrierte. Die Tage vergingen, und ich begann, mir Gedanken über die Zukunft zu machen. Um nicht mit leeren Taschen hier herauszukommen, machte ich, von den Beamten gedeckt, verschiedene kleinere Geschäfte. Eine Zeit lang nahm ich einen brasilianischen Transvestiten unter meine Fittiche. An den ungeraden Tagen wurde geduscht, dann organisierte ich ihm ein paar Nummern, nicht mehr als fünf hintereinander, um nicht allzu sehr aufzufallen. Einmal Blasen eine Stange Marlboro, und zwei pro Fick. Er bekam zehn Prozent und die Sicherheit, dass ihm niemand das Gesicht zerschnitt. Die Wachleute besuchten ihn morgens um vier beim Zählappell. Aber das ging mich nichts an. Auch weil da nichts zu holen war. Das Gefängnispersonal zahlte nicht. In meiner Zeit in San Vittore machte ich viele interessante Bekanntschaften. Profis aus den verschiedensten
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