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Arrivederci amore, ciao

Arrivederci amore, ciao

Titel: Arrivederci amore, ciao
Autoren: Massimo Carlotto
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in Wirklichkeit Gianni. Er war immer eine mittlere Charge gewesen und hatte in Frankreich nur Karriere machen können, weil die dicken Fische im Knast gelandet waren. Ich sah ihn an. Ein Bauerngesicht, die Hände voller Schmieröl. Offenbar arbeitete er in irgendeiner Werkstatt. Zeitlebens stand er um fünf Uhr morgens auf, um sein Klassenbewusstsein unter der arbeitenden Bevölkerung zu verbreiten.
    »Luca ist seit ein paar Jahren tot«, sagte ich. »Sie haben ihn dabei erwischt, wie er mit dem Schwanz von einem der gefangenen Offiziere rumspielte, und haben ihn umgelegt.«
    »Machst du Witze?«
    Ich sah ihn nur wortlos an.
    »Und du?«, fragte er leise.
    »Mir ist das alles auf den Sack gegangen, jetzt bin ich wieder hier.«
    Sergio biss in sein Sandwich, um Zeit für eine Antwort zu gewinnen. Er kaute bedächtig und trank seinen Rotwein mit einem Zug halb aus. Ihm war klar, dass ich ein Problem war, und zwar seins.
    »Was hast du jetzt vor?«
    Nun war der Augenblick gekommen, meine Karten auszuspielen.
    »Ich gehe nach Italien zurück. Ich stelle mich als Kronzeuge und fange ein neues Leben an.«
    Er wurde blass. »Das kannst du nicht machen. Die Überläufer haben uns schon so viele Leute gekostet. Wir sind seit vielen Jahren inaktiv, Enrico. Es gibt die Organisation nicht mehr, keine Organisation gibt es mehr. Der bewaffnete Kampf ist vorbei.«
    Ich fiel ihm ins Wort. »Dann gibt es ja kein Problem.«
    »Doch. Du kennst jede Menge Genossen, die nie identifiziert wurden. Alles Leute, die heute ein ganz normales Leben führen. Sie haben es nicht verdient, ins Gefängnis zu kommen.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Ich an seiner Stelle hätte mich wütend angesehen und Todesdrohungen gezischt. Er begnügte sich mit einer schmerzerfüllten Grimasse. »Was ist mit dir passiert?«, fragte er und strich sich mit der Hand übers Gesicht.
    »Ich hab dieses Scheißleben satt«, gab ich trocken zurück. »Ich habe nicht die geringste Absicht, den Rest meines Lebens im Exil zu verbringen und jeden Tag Angst zu haben, dass ich wegen ein paar Flugblättern und einem dämlichen Nachtwächter in den Knast wandere.«
    Sergio versuchte einen letzten verzweifelten Appell an meine Ideale und Werte. Ich bremste ihn mit einer Handbewegung. »Such du eine Lösung, Gianni.« Ich nannte ihn bei seinem Klarnamen. »Sonst lasse ich alle auffliegen. Und deine Schwester übrigens gleich mit, obwohl sie mit nichts was zu tun hatte. Ich erzähle, dass sie mir damals den Sprengstoff gebracht hat, und schon haben die Bullen sie kassiert.«
    Ich stand auf und ging, ohne ihn noch einmal anzusehen, ließ das halbe Bier und mein Sandwich auf dem Tisch. Das war ärgerlich. Ich hatte kaum Geld, an diesem Tag würde ich mir nichts mehr leisten können. Ich klopfte systematisch bei allen Bekannten aus meiner ersten Pariser Zeit an, und zwar bei denen ohne direkte Verbindungen nach Italien. Ich wusste zwar, dass ich von pensionierten Guerilleros nichts zu befürchten hatte, aber man kann nie vorsichtig genug sein. Ich hatte einen gefälschten Pass, in Italien wartete der Haftbefehl. Ein kleiner Hinweis, und sie würden mich in die Bastille sperren, zu den Basken und Islamisten. Bei einem Paar aus Uruguay fand ich Unterschlupf, Verbannten einer früheren Generation. Er Ingenieur, sie Psychiaterin. Die Frau hörte mir verständnisvoll zu. »Eine Woche«, sagte sie am Ende und hielt dabei den Daumen hoch, damit es ja kein Missverständnis gab.
     
    Wenn du in einer europäischen Großstadt in der Scheiße sitzt, ein Dach überm Kopf und drei regelmäßige Mahlzeiten pro Tag suchst, ist es das Beste, systematisch die große Weide der Singles abzugrasen. Wenn du außerdem ein gutaussehender Typ bist und über einige Erfahrung mit späten Mädchen verfügst, wie bei mir der Fall, dann verbessert das deine Chancen beträchtlich. Ich setzte mich in einen Sessel und sah die Samstagsanzeigen in der Liberation durch. Natürlich musste ich eine Auswahl treffen, bei der mit gesunder progressiver Gesinnung zu rechnen war, nur so konnte ich mich als Kämpfer für die Freiheit der Dritten Welt präsentieren. Ich strich alle unter Dreißigjährigen und alle, die Kinder an den Hacken hatten, und antwortete auf rund fünfzehn Anzeigen mit Voicebox. Briefe hätten mir zu lange gedauert. Eine Woche darauf schaffte ich meine Siebensachen in Régines Wohnung nahe der Place de la République. Unser erstes Rendezvous hatte in einer Kunstgalerie stattgefunden, bei einer
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