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Arminius

Arminius

Titel: Arminius
Autoren: Sebastian Fleming
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Barbaren?«
    Germanicus rief, so laut er konnte, mit großer Bitterkeit in der Stimme: »Es ist eine Schande, dass die Familie des Feldherrn bei den Barbaren, die ihren Schutz angeboten haben, sicherer ist als bei den eigenen Truppen. Schämt euch, Römer!«
    Stille trat ein, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Die Männer schämten sich in der Tat, und da man in der Nacht die Anführer der Revolte ermordet hatte, war auch niemand mehr da, das Wort zu erheben und die Stimmung der Masse in eine andere Richtung zu lenken. Es war wie ein Wunder: Mit hängenden Schultern standen die kampferprobten Männer da und blickten verlegen zu Boden. Derjenige aber, der es gewagt hatte, Germanicus zur Rede zu stellen, kniete nieder. Alle anderen taten es ihm gleich. »Ich bitte dich, Imperator, lass deine Familie hier, wir wollen sie mit unserem Leben schützen.«
    Germanicus schwieg.
    »Wie können wir unsere Schande tilgen?«, fragte der Legionär fast bettelnd.
    Auf diese Frage aber hatte der Feldherr nur gewartet. Endlich konnte die Meuterei, die ihn gefährdet hatte, zu seinem Nutzen ausschlagen, denn in seinem Herzen brannte das Feuer des Hasses. Und nur die Vorsicht des Tiberius hatte ihn zurückgehalten, Rache an den Germanen und vor allem an Arminius zu nehmen, an dem Menschen, dem er mehr als jedem anderen Menschen auf dieser Welt vertraut und ja, auch wie einen Bruder geliebt hatte und der nun zum schlimmsten Verräter geworden war an Rom und vor allem an ihm. Arminius hatte nicht nur Rom, nein er hatte auch ihn persönlich verraten, und wie eine Wunde, die nicht verheilen wollte, träufelte sie immer mehr Gift in sein Herz. Er würde nicht genesen, bevor der Freund aus Kindertagen, der ihm einst das Leben gerettet hatte, nicht bestraft und tot war. Niemand ahnte etwas von dem Wundbrand in Germanicus’ Seele, denn nach außen gab er sich wie immer – liebenswürdig, strahlend, schön, leutselig. Er ließ niemanden in sein Herz schauen, nicht einmal seine Frau.
    Nur einer schien zu wissen, was in ihm vorging: Tiberius. Deshalb hatte er ihn auch von Feldzügen ins Germanenland zurückgehalten, solange er als Oberbefehlshaber am Rhenus weilte, denn der alte Schlachtenlenker wusste nur zu gut, dass Krieg eine viel zu ernste Angelegenheit war, als dass man sein Gefühl zum Ratgeber erheben konnte. Aber jetzt bot sich Germanicus die Möglichkeit zu handeln.
    »Wollt ihr wirklich die Schande abwaschen, mit der ihr euch besudelt habt?«, rief er.
    Sie schrien: »Ja!«, und »Ruhm und Ehre!« Ja, sie wollten es.
    »Dann bereitet euch darauf vor«, fuhr Germanicus mit lauter Stimme fort, »wir ziehen nach Germanien, um Varus zu rächen! Dort könnt ihr euch mit dem Blut der erschlagenen Barbaren von eurer Schande reinigen. Mit dem Schwert beweist Reue. Mäht nieder, was euch in die Quere kommt, ob Mann, Frau, Greis oder Kind. Sie alle sind so schuldig wie ihr. Aber ihr habt großes Glück, ihr könnt eure Unschuld zurückgewinnen, wenn ihr sie bestraft für ihre Treulosigkeit. Wenn die Wiesen und Bäche endlich rot sind von ihrem Blut, dann werde ich über Gnade nachdenken. Das schwöre ich euch! Auf, hin zur Albis, dort erwartet euch Vergebung!«
    »Ruhm und Ehre!«, riefen die Krieger.
    In Wahrheit ging es ihm aber gar nicht um Varus, es ging ihm um einen kleinen Jungen, der dort vor über zwanzig Herbsten seinen Vater verlor, weil ihn eine Riesin an der Albis verhext hatte. Die Worte hatte er sich gemerkt und in all den Jahren nicht vergessen. In ungezählten Albträumen, am tiefsten Punkt der Nacht hörte er sie immer und immer wieder: »Wewurt skihit!«

    Der anbrechende Tag zündete den Himmel an. Arminius trieb seinen Rappen durch die glühende Morgenröte. So viele Fürsten, so viele Stämme hatte er bereits gewarnt, nur die Marser, diesen kleinen, aber ehrenvollen Stamm noch nicht. Er liebte diese aufrechten Männer und zupackenden Frauen, in denen sich die Tugenden der Germanen am reinsten verwirklicht hatten, wie es nur in kleinen, überschaubaren Gemeinschaften gelingen konnte. Den König der Krieger erfüllte Heiterkeit bei dem Gedanken, dass er sie, über ihre Dörfer und Gehöfte verteilt, schnarchend vorfinden würde, in den seligen Zwischenwelten des Rausches schwebend, denn sie hatten ihr Herbstfest gefeiert und ihrer Göttin Tafania geopfert aus Dank für die Ernte, die sie ihnen in diesem wie in jedem Jahr bescherte.
    Festzeit, Heilzeit, Friedenszeit, niemand durfte während der heiligen Feier
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