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Arminius

Arminius

Titel: Arminius
Autoren: Sebastian Fleming
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zum Schwert greifen, denn an diesem Tage geboten die Götter den Frieden, damit die Menschen ihnen sorglos zu dienen vermochten, ohne auf der Hut vor ihresgleichen zu sein.
    Als er sich dem Hauptdorf der Marser näherte, wo der prächtige Magon herrschte, fühlte er sich in seiner Erwartung bestätigt. Schon von Weitem war zu erkennen, dass sie überall verstreut lagen und ihren Rausch dort ausschliefen, wo sie der Gott des Mets und des Biers gefällt hatte. Doch je näher er kam, desto unruhiger wurde er: Sie schnarchten nicht, sie grunzten nicht, wie sonst in ihrer Trunkenheit, sie lagen da wie tot.
    Mitten im Dorf stieg er vom Pferd und sah um sich. Er war mit seiner Warnung zu spät gekommen. Mochten ihre Seelen ihren Rausch in Tyrwal ausschlafen, hier aber lebte keiner mehr. Weder Frau, noch Kind, noch Mann, nicht Greis und auch nicht Greisin. Nicht einmal die Tiere. Die Römer hatten dieses kleine, aber wehrhafte Volk im tiefsten Schlaf überfallen und die Wehrlosen einfach abgeschlachtet. Keiner hatte die Chance gehabt, sich zu verteidigen.
    Wie blutgierige Bestien, nicht wie Krieger waren sie über die betrunkenen Marser hergefallen. Das war ehrlos, das war gemein, das war verabscheuungswürdig! Wahrlich, es gab nicht viele Regeln, aber einige wenige doch. Keine besagte, dass das kleine Volk der Marser nicht ausgelöscht werden dürfe, aber in der Schlacht, und nicht während sie sich beim Herbstfest berauschten. Das wussten alle, auch Germanicus.
    Ein zweischneidiger Schmerz fuhr wie ein gleißendes Schwert in Arminius’ Eingeweide. Er stieß einen lang gezogenen, verzweifelten, hasserfüllten Schrei aus: »Germanicus!« Dann rannte er durch das Dorf, außer sich vor Wut und mit gezogener Waffe: »Germanicus, zeig dich, du Feigling! Du kleiner Sohn eines kleinen Vaters! Komm aus deinem Erdloch gekrochen, dass ich dir den Lockenkopf abschneide.«
    So ging es, bis die Sonne hoch im Mittag stand und Arminius vor Erschöpfung zusammenbrach.
    Als er Stunden später wieder zu sich kam, hob er mit erloschenen Augen ein tiefes Loch aus und bestattete die Marser dieses Dorfes. Die ganze folgende Woche war er damit beschäftigt, von Dorf zu Dorf, von Gehöft zu Gehöft des kleinen Stammes zu reiten und die Toten, den ganzen Stamm, 890 Menschen zu bestatten. Nun war er wirklich der König der Krieger und der Herr der Toten. Wie ein naiver Kindertraum kam es ihm plötzlich vor, dass er tatsächlich glauben konnte, dem Morden zu entgehen und den Rest seiner Tage friedlich als Bauer zu verbringen.
    Die Römer hatten sich inzwischen in ihre Winterquartiere jenseits des Rhenus zurückgezogen, aber Arminius ritt unermüdlich von Thing zu Thing, um die Germanen auf die Entscheidungsschlacht einzustimmen. Die Bataver und die Chatten erteilten ihm eine Abfuhr, sie hatten sich inzwischen mit den Römern verbündet. Er spuckte nur aus und meinte, wenn die Marser noch am Leben wären, würden sie genügen, um die Hundsgroßen totzuschlagen. Ewige Schande über die Bataver und die Chatten!
    Ein paar Chatten versuchten, Arminius einzufangen, um ihn auszuliefern, denn Germanicus hatte auf seinen Kopf eine Belohnung ausgesetzt. Er erschlug sie kalt und ohne Aufregung.
    Oft dachte er in diesen Tagen an seine Frau und an seine Tochter, aber vielleicht bestand darin der Preis, womöglich durften sie nur in Freiheit leben, wenn er bis ans Ende seiner Tage Blut vergießen würde. Blut und immer wieder Blut. Und wenn es so wäre, dann würde er es tun. Besaß er denn eine Wahl? Wie viele marsische Mädchen im Alter seiner Tochter hatte er beerdigt, weil ihre Väter nicht mit der Niedertracht gerechnet hatten, dass man am hohen Feiertage einfach über sie herfallen und sie abschlachten würde? Es waren neunundfünfzig gewesen, sein Schmerz hatte sie gezählt.
    Jede nur denkbare Schändlichkeit, dachte er zynisch, wird irgendwann zum ersten Mal begangen und kommt dann in Mode. Es gab keine Ausrutscher, es existierte immer nur dieses verfluchte erste Mal, von da an durfte das Ungeheure wieder und immer wieder geschehen, ohne Erstaunen auszulösen. War die Grenze einmal überschritten, gehörte es beinah zur Normalität.
    Arminius hatte viele Gräuel erlebt – an einigen war er nicht unschuldig gewesen –, aber Männer, die im Rausch eines heiligen Festes wehrlos dalagen, mit ihren Frauen und Kindern einfach abzuschlachten, stellte einen Ausbund an Niedertracht dar. Natürlich durfte er nicht zögern, von Stamm zu Stamm zu reiten und die
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