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Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt

Titel: Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Autoren: Thomas Frank
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von einer ähnlichen Popularität getragen wie damals FDR.
    Sieben Monate später jedoch war klar, dass Obama der populistische Schwung abhandengekommen war. Es war frustrierend, dass er das Feld der Finanzpolitik mit Larry Summers und Tim Geithner zwei notorischen Wall-Street-Freunden überließ, und es war unerträglich, als er sogar nach dem AIG-Debakel darauf bestand, den Bailout-Kurs der Regierung Bush fortzusetzen. Doch der Moment, da mir klar wurde, dass die Demokraten es wirklich verbockt hatten, kam während der Debatte um die Reform des Gesundheitswesens.
    In der Vergangenheit hatten die Liberalen beim Thema »allgemeine Krankenversicherung« trotz ihrer sonstigen Versäumnisse stets Kontakt zu ihrer Basis, den Arbeitnehmern, gehalten. Und seit bei der Privatisierung unseres Gesundheitswesens vor allem obszöne Gewinne für die Versicherungen und miserabler Service für die Kranken herausgekommen waren, hatte diese Debatte einen populistischen Tonfall angenommen. Die Initiative für eine allgemeine Krankenversicherung war, wie Präsident Truman es einmal ausdrückte, ein Kampf der »einfachen Menschen« gegen »Partikularinteressen«, namentlich den Ärzteverband AMA (American Medical Association) mit seinem erwartbaren Gezeter von »verstaatlichter Gesundheitsversorgung«.
    Obamas Strategie von 2009 war das Gegenteil derjenigen Trumans. Er holte all die traditionellen Gegner einer Gesundheitsreform mit ins Boot – den AMA, die Pharmariesen und die Versicherungslobbyisten – und bemühte sich um einen sachlich ausgehandelten Konsens. Man hörte sämtliche Experten an und kümmerte sich um alle »Interessenvertreter«. Niemand musste fürchten, übergangen zu werden.
    Dem folgten die Auseinandersetzungen des »Town Hall Summer«, des Sommers der Bürgerversammlungen, in dem die für die Gesundheitsreform werbenden demokratischen Abgeordneten in ihren Heimatorten auf außerordentlich feindselige Menschenmengentrafen – ganz normale Bürger, die sie aus dem Auditorium heraus anbrüllten. Sicher, in diesen Versammlungen hatten sich auch Leute platziert, die nur aufs Stören aus waren, aber diese Agitprop-Ursprünge nahmen dem populistischen Spektakel, das nun stattfand, nichts von seiner Wucht und Schärfe. Die Demokraten schienen den mächtigen Lobbys zuzuspielen, und diesmal waren es Trumans »einfache Menschen«, die »Sozialismus!« schrien und von »Diebstahl durch Besteuerung« sprachen.
    Unvergesslich eine Bürgerversammlung in Bremerton, Washington, auf der die Tea-Party-Aktivistin Keli Carender mit einem Zwanzigdollarschein wedelte und ihren demokratischen Kongressabgeordneten aufforderte, ihn ihr aus der Hand zu reißen, als »kleine Anzahlung« für die Krankenversicherung, bei der sie als Steuerzahlerin mit Sicherheit geschröpft würde. (Wie bei vielen Konfrontationen auf diesen Bürgerversammlungen war nicht klar, gegen welchen Plan Carender damit eigentlich protestieren wollte.) Dann stand sie mit ausgestrecktem Arm da, starrte den Abgeordneten wütend an und wurde auf Pressefotos als eine Art Norma Rae der Rechten verewigt.
    Ebenfalls lebhaft in Erinnerung ist mir eine Bürgerversammlung, die ich am Radio mitverfolgte und bei der zornige Bürger Marylands ihren Senator beschimpften. Er hatte einen Vortrag vorbereitet, in dem er haarklein die Einzelheiten der diversen, damals gerade auf dem Tisch liegenden Reformvorschläge darstellen wollte, doch dafür schienen sich seine Zuhörer nicht zu interessieren. Sie wollten vielmehr über große philosophische Fragen sprechen: Freiheit, Tyrannei, die Verfassung und die prinzipielle Inkompetenz des Staates.
    Wenn man sich nicht mehr im Einzelnen an jenen Sommer erinnert, könnte man meinen, dass sich die Demokraten doch sicherlich voller Verve auf diese Auseinandersetzung eingelassen haben – wie Harry S. Truman es getan hätte. Man könnte annehmen, sie hätten sich über die Gelegenheit gefreut, über große philosophische Fragen sprechen zu können, und hätten sie dazu genutzt, darzulegen, wie das bestehende System die 20 Dollar tatsächlich einfach so verschluckte,wie bestimmte staatliche Stellen versagt hatten, weil sie gar nicht anders konnten, oder dass eine Sozialversicherung die Freiheit eher stärkt, als sie einzuschränken.
    Doch nichts dergleichen geschah. Bei den meisten Bürgerversammlungen, die ich mitbekam, schienen die Rede und Antwort stehenden Demokraten überhaupt nicht in der Lage zu sein, sich auf eine Diskussion über das
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