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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Autoren: Kai Meyer
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Ketten. Weiter voraus, oder doch links? Sie hatte Schwierigkeiten, die Laute zu orten.
    »Ich kann nichts sehen«, flüsterte sie. »Ich kann dich nur finden, wenn ich dich höre.«
    Sie folgte dem Verlauf der Wand. Die Kettengeräusche waren jetzt vor ihr. Sie spürte die Anwesenheit eines anderen in ihrer unmittelbaren Nähe.
    Langsam streckte sie die Hand aus. Es war ein beunruhigendes Gefühl, sich von der Wand zu lösen und die Orientierung aufzugeben.
    Ihre Finger griffen ins Leere.
    Nach kurzem Zögern ging sie in die Hocke.
    Sie ertastete Fell. Erschrocken zog sie die Hand zurück. Gleich darauf fasste sie abermals zu und, ja, da war es noch immer. Warmes, glattes Fell über einem geschmeidigen, atmenden Körper.
    Das Knurren wurde zu einem sanften Schnurren, merkwürdig dumpf, was ihr endgültig bewies, dass sie ihn geknebelt hatten. Vielleicht ein Maulkorb. Er bewegte sich wieder und erneut schrammten Kettenglieder über Gestein.
    »Kannst du dich nicht zurückverwandeln?«, fragte sie leise.
    Sein Zorn auf Cesare, vielleicht auch Wut auf sich selbst mussten ihn in seiner Tiergestalt festhalten. Er bekam seine Gefühle nicht unter Kontrolle, genau wie vor einigen Tagen, als er hilflos als Panther neben ihr gesessen hatte, unfähig wieder zum Menschen zu werden, bis sie ihn allein zurückgelassen hatte. Sie musste ihn beruhigen. Den Knebel entfernen. Irgendwie seine Ketten lösen.
    Aus dem Erdgeschoss ertönte ein Scheppern. Etwas war umgestoßen oder zerschlagen worden. Ein Schuss ließ sie zusammenzucken. Nicht schallgedämpft. Also war es nicht Fundling gewesen, der gefeuert hatte.
    Obgleich sie selbst zitterte, fuhr sie sanft mit der Hand über Alessandros Fell. Weich und seidig fühlte es sich an. Sie spürte die Rippenbogen, die Wirbelsäule. Er lag auf der Seite, mit dem Rücken zu ihr. Die Ketten mussten so kurz sein, dass er nicht aufstehen konnte. Je zorniger er war, desto schwieriger wurde es für ihn, wieder zum Menschen zu werden. Ältere Arkadier mochten ihre Verwandlungen steuern können; Alessandro aber war ein Opfer seiner Gefühlsausbrüche.
    Ihre Finger wanderten am Rücken entlang Richtung Hals. Sein Fell fühlte sich angenehm an. Hätte er als Mensch dagelegen, wäre ihre Scheu vor solch einer Berührung viel größer gewesen.
    Er hielt den schweren Pantherschädel ganz ruhig, als ihre Fingerspitzen zwischen seine Ohren glitten, zaghaft über den Kopf streichelten, weiter nach vorn zu seinem Katzengesicht. Er schloss die Augen, als sie darüber hinwegstrich. Dann stieß sie auf einen Riemen. Es war tatsächlich eine Art Maulkorb. Eilig öffnete sie die Schnallen und zog das lederne Ding von seiner Pantherschnauze.
    Er stieß ein scharfes Fauchen aus. Als sie zurückzuckte, wurde er wieder ruhiger. Er hatte nie erwähnt, wie oft er sich in der Vergangenheit in einen Panther verwandelt hatte; jetzt wurde ihr klar, dass es nicht allzu häufig gewesen sein konnte. Oben ertönten zwei weitere Schüsse. Wer feuerte auf wen? Hatte Fundling sich im Haus verschanzt? Das alles schien ihr sehr weit entfernt, als beträfe es sie gar nicht. Eine unnatürliche Ruhe ergriff von ihr Besitz. Zugleich kroch die Kälte bis in ihre Fingerspitzen.
    »Bleib einfach nur liegen«, flüsterte sie.
    Er schnurrte wie ein Hauskater.
    Ihre Hände strichen an seinen muskulösen Vorderbeinen entlang, bis sie oberhalb der Pfoten auf Eisenringe stießen. DieKetten, die ihn hielten, waren nicht breiter als ihr kleiner Finger. Anschließend betastete sie seine Hinterläufe und musste sich dabei weit über ihn beugen. Mit ihrem Oberkörper berührte sie sein Fell. Ein eigenartiges Kribbeln raste über ihre Haut. Sie bemühte sich, nicht darauf zu achten, glitt mit den Fingern seine Hinterbeine hinab und fand auch dort zwei Eisenringe.
    »Haben sie dich betäubt, um dir diese Dinger anzulegen?«
    Er rieb seinen Kopf an ihrem Knie. Sie deutete das als ein Ja.
    Oben im Haus zerbarst Glas. Jemand begann zu schreien, aber weiter entfernt, vermutlich im Freien.
    »Ich hab noch vier Kugeln in meinem Revolver«, sagte sie. »Ich kann versuchen die Ketten zu zerschießen.«
    Sein Kopf rieb erneut an ihrem Bein.
    »Ich muss die Mündung auf eines der Kettenglieder setzen. Kannst du sie straffer spannen?«
    Ein entschlossenes Fauchen.
    Sie nahm ihre Waffe in die Hand, während über ihnen im Haus erneut mehrere Schüsse peitschten.
    Vollkommen blind, nur auf ihren Tastsinn angewiesen, schob sie sich um ihn herum. »Erst das linke
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