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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie
Autoren: Wolfgang Detel
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auch von nicht lebenden Elementen wie Feuer oder Erde (Phys. II 1). Damit ist freilich die Frage nach dem Ursprung der Bewegung wieder offen, und eines der Forschungsprogramme der aristotelischen Naturphilosophie zielt darauf, die Selbstbewegung der Naturdinge zu erklären.
    Das Problem, das mit diesen Voraussetzungen entsteht, wird von Aristoteles klar diagnostiziert: Wie kann es eine Physik, also eine Wissenschaft von den Naturdingen geben, wenn einerseits Wissenschaften unveränderliche Strukturen betrachten und andererseits die Natur im Wesentlichen der Bereich veränderlicher bewegter Dinge ist? Der ontologische Aspekt des Problems ist, dass Wissenschaften sich mit dem Seienden beschäftigen, dass aber bewegte Dinge sich stets im Werden zu befinden scheinen, das zwischen Sein und Nichtsein angesiedelt ist (Phys. I 2–3, 8; Metaph. XI 4, 1061b; XII 1, 1069a). Damit ist zum erstenmal die Frage nach der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Physik ernsthaft gestellt.
    Diese Frage kann – davon ist Aristoteles überzeugt – nur dann positiv beantwortet werden, wenn Veränderung und Werden in einer geeigneten Form analysiert werden. Die Physik muss daher mit einer Analyse des Werdens beginnen, die uns mit den Prinzipien des Werdens zugleich die Prinzipien der Naturdinge liefern sollte. Davon handelt in der Tat das erste Buch der
Physik
(vor allem Phys. I 7).
    [37] Sätze und Behauptungen der Form »x wird y« oder »y entsteht aus x« oder »y ist etwas Entstandenes« setzen, wie Aristoteles zeigen möchte, folgende Unterscheidung voraus:
    (a) das, woraus oder an dem etwas wird – der zugrunde liegende Gegenstand oder die Materie;
    (b) das, wozu etwas wird, also der neue konkrete (aus Materie und Form zusammengesetzte) Gegenstand, der entstanden ist.
    Diese Analyse gilt sowohl für das substanzielle Werden als auch für das prädikative Werden, also für Fälle wie das Werden (Entstehen) einer Statue aus Erz (der Materie) und Statuenform, aber auch für Fälle wie das Gesundwerden eines Menschen (des zugrunde liegenden Gegenstandes) als Übergang aus dem Zustand der Krankheit in den Zustand der Gesundheit. Die Punkte (a) – (b) verweisen gerade auf die Prinzipien des Werdens: Stets nimmt etwas Zugrundeliegendes (Materie, Gegenstand) eine Form an. Diese Analyse enthält einen Schritt, der sich unter anderem für die weiteren naturwissenschaftlichen Studien und die Fortentwicklung der Metaphysik als hilfreich erweisen sollte: die Form-Materie-Analyse der Naturdinge.
    Auf dieser Grundlage macht Aristoteles eine ontologische Deutung des Werdens geltend: Wenn x zu einem y wird oder werden kann, dann ist x zunächst nicht y, also Nichtseiendes bezüglich y; aber x besitzt die Disposition, zu einem y zu werden, also die Form y anzunehmen: x ist vor Abschluss des Werdens zu einem y der Möglichkeit (Potenzialität) nach ein y-Seiendes, aber der Verwirklichung (Aktualität) nach ein Nichtseiendes bezüglich y. Erst nach Abschluss des Werdens ist x auch ein der Verwirklichung nach y-Seiendes. »Bewegung« lässt sich dann im allgemeinsten Sinne bestimmen als Verwirklichung eines der Möglichkeit nach Seienden, oder alternativ: als Verwirklichung des Bewegten, insofern es bewegt ist (Metaph. XI 9, 1065b). Bewegung wird daher primär am Bewegten, nicht am Bewegenden orientiert: Bewegung ist eine Aktivität des Bewegten – eine Selbstbewegung aufgrund [38] innerer Bewegungsprinzipien. Insbesondere ist die Bewegung natürlicher Dinge eine Aktualisierung ihrer Möglichkeiten oder inneren Dispositionen, also eine Realisierung ihrer wesentlichen internen Natur. Damit wird allerdings der Fall externer Bewegungsursachen nicht ausgeschlossen.
    Die Analyse des Werdens zeigt: Physik als Wissenschaft von den werdenden und bewegten Dingen richtet sich primär auf die Regularitäten, die die Entstehung neuer universeller Formen an bewegten Gegenständen beherrschen. Insofern bleibt auch die Physik wesentlich auf Formen als ihren primären Erkenntnisgegenständen bezogen. Die Frage nach der Möglichkeit und dem Status einer wissenschaftlichen Physik ist damit im Wesentlichen beantwortet.
    Eine der grundlegenden Fragen der Physik lautet dann: Was sind die internen und externen Bewegungsursachen? Im Gegensatz zur modernen Physik fragt die antike Physik nicht nach den Ursachen der Bewegungs
änderung
, sondern nach den Ursachen der Bewegung. Diese Fragestellung basiert auf dem Eindruck, dass Bewegungen (genauer: Geschwindigkeiten) sich
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