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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten
Autoren: Chalid al-Chamissi
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schliesslich aber erkannt, dass er wie ein Blinder selbständig dem Licht entgegengehen muss, bis er irgendwann die hässliche Wahrheit so klar und deutlich sieht wie den Vollmond in der Wüste.
    Am Tag, der seiner plötzlichen Erleuchtung folgte, legte Achmad seine Träume sorgsam in den Abfalleimer und bemühte sich um Arbeit in einer Anwaltskanzlei. Nach zwei Monaten Suche stellte er fest, dass es in Ägypten mehr examinierte Juristen als weltweit Verbrecher gab, und fand schliesslich Arbeit in einem Café. Dessen Inhaber brauchte einen vertrauenswürdigen Menschen, der in seiner Abwesenheit die Frühschicht an der Kasse übernahm. Achmad willigte sofort ein. Nach wenigen Tagen aber wurde ihm klar, dass die 300 Pfund Lohn auf der Busfahrt von seiner Wohnung in der Nâhiastrasse zur Arbeit im Viertel Madinat Nasr wie wilde Tauben auf und davon flatterten. Doch dann kam ein Geschenk des Himmels.
    Z u guter Letzt trafen Herr Guma Abdalsalâm und ich die Vereinbarung, dass ich bei ihm praktische Erfahrungen sammle. Herr Guma ist ein wirklich grossartiger Mann und ein Rechtsanwalt, von dem man viel lernen kann. Am grossartigsten aber empfand ich, ehrlich gesagt, vor allem die Tatsache, dass die Kanzlei nicht allzu weit weg von zu Hause war, denn mein Monatsgehalt von 150 Pfund ging allein schon für die Fahrt zum Gericht drauf. Und hätte ich obendrein noch für den Weg ins Büro bezahlen müssen, wäre die Grenze eindeutig überschritten gewesen. Das hätte meiner Mutter gerade noch gefehlt, sie wetterte ohnehin schon über die Zustände. »Nicht zu fassen, das ist doch das Allerletzte!«, fluchte sie ständig. Mutter war ihr Leben lang eine Optimistin gewesen. Ich hatte gehofft, mich nach dem Uniabschluss an den Kosten zu Hause beteiligen zu können. Inzwischen hoffe ich nur noch, meiner Mutter etwas weniger auf der Tasche liegen zu müssen. Es als Anwalt zu versuchen hat mich schwere Überzeugungsarbeit gekostet. Nachdem mich Gott von der Sache mit der Staatsanwaltschaft geheilt hatte, versuchte ich unermüdlich, mir diesen Beruf schmackhaft zu machen. Jeden Morgen beim Rasieren sang ich mir vorm Spiegel die Anwaltshymne vor: »Anwalt zu sein, mein Herr, ist eine wunderbare Sache. Als Anwalt verteidigst du die Unterdrückten in einer ungerechten Gesellschaft. Du sorgst dafür, dass die, die im Recht sind, zu ihrem Recht kommen. Wer auf der Welt kann mir etwas nennen, das bedeutender wäre als das?«
    N ur wenige Monate später erklärte ihm die Welt unmissverständlich, was bedeutender ist als die Arbeit in der Anwaltskanzlei. Der blonde Mieter zog aus ihrer Wohnung in Samâlik aus, sie fanden keinen Nachmieter, und die bescheidenen Ersparnisse in der Schublade des kleinen Frisiertischesim Zimmer seiner Mutter begannen angesichts der Höllenhitze langsam, aber sicher zu verdunsten. Die Wohnung in Samâlik war das Einzige, was Achmad von seinem Vater geerbt hatte, und bisher die Existenzgrundlage der Familie gewesen. Nach dem Tod des Vaters hatte sich Umm Achmad Papier und Stift genommen und errechnet, dass die Witwenrente ihr kein würdiges, ja nicht einmal ein unwürdiges Leben bescheren würde. Ihre Schwägerinnen konnte sie, davon war sie überzeugt, nicht um Hilfe bitten, denn sie hatten sich strikt dagegen ausgesprochen, dass ihr Bruder eine Frau vom Land heiratete. Also fasste Umm Achmad schweren Herzens einen Entschluss. Sie vermietete die Wohnung für einen ansehnlichen Betrag an einen spanischen Journalisten und zog mit ihrem Sohn in eine Mietwohnung im Viertel Bulâk al-Dakrûr, wo sie aufgewachsen war und mit ihrem inzwischen verstorbenen Vater gelebt hatte. Sie meldete Achmad vom Privatgymnasium in Samâlik ab und an der staatlichen Schule in der Nähe ihres neuen Heims an. Die Veränderung war hart für den Jungen, für die Familie aber eine geniale Lösung, denn die Miete für die Wohnung in Samâlik stieg jährlich zu einem Prozentsatz, der teils sogar über der Inflationsrate lag. Auf diese Weise gelang es Umm Achmad, das Schiff des Lebens sicher durch ruhige, warme Gewässer zu steuern. Zweifellos kam es hin und wieder zu stärkerem Wellengang, der das Schiff zwar ins Wanken, nicht aber zum Kentern brachte. Nun jedoch stand die Wohnung über einen Monat leer. Besonnen und vorausschauend, wie sie war, hatte die Mutter glücklicherweise ein kleines Polster angespart, mit dem sie in diesen schwierigen Zeiten über die Runden kam. DieTurbulenzen legten sich, als ein alter ägyptophiler Schwede die
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