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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten
Autoren: Chalid al-Chamissi
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nicht in diesem Kairo geboren und aufgewachsen zu sein.
    In all den Jahren, in denen ich die Schule besuchte, gab es in meiner Klasse nicht einen, der ausgewandert ist oder einen vorübergehenden Auslandsaufenthalt hinter sich hatte. »Migrationserfahrung« hatte ausschliesslich eine neue Mitschülerin, die von Port Saîd nach Kairo geflüchtet war. Doch unsere Gespräche wurden von Bombenexplosionen überschattet, die mir bis heute in den Ohren nachhallen. Ausserdem gab es da ein Mädchen namens Nuha. Sie verliess uns aus zwingenden Gründen. Ihr Vater arbeitete im Aussenministerium, deshalb zog sie, noch im Grundschulalter, mit ihren Eltern nach Zaire. Nuha war, soweit ich mich erinnere, die Einzige aus meiner Klasse, die ins Ausland ging.
    Bei meiner Tochter dagegen herrscht ein völlig anderes Bild. In ihrer Klasse, die höchstens fünfundzwanzig Schüler zählt, sind im Laufe der Jahre bestimmt zwanzig emigriert. Bei dieser Zahl müsste eigentlich ein Signal ertönen, leider hat man aber noch kein Verfahren entwickelt, dass Papier Laute von sich gibt, wenn das Auge ein bestimmtes Wort erfasst.
    Laila, die beste Freundin meiner Tochter, zog mit ihrer Familie vorübergehend nach Kuwait, weil dem Vater dort eine Stelle angeboten worden war. Saif wanderte mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten aus und Muhammad nach Kanada. Muhannads Vater ging in die USA, wohin ihm sein Sohn im nächsten Jahr folgen wird. Germaine, seit der Vorschule Nâdias Klassenkameradin und gleichzeitig unsere Nachbarin, lebt jetzt mit ihren Eltern in Kanada. Schirîn zog im Alter von vier Jahren nach Kuwait und kehrte als Zwölfjährige mit ihrer Mutter zurück, um eine rechtliche Angelegenheit bezüglich ihrer Wohnung in Kairo zu regeln. Der Vater und die Schwester blieben in Kuwait. Als das Wohnungsproblem gelöst war, hatte das Schuljahr bereits begonnen, also entschieden sie, dass Schirîn es in Kairo absolviert. Sie kam in Nâdias Klasse, reiste zwischendurch allerdings nach Kuwait, um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu erneuern und um Vater und Schwester zu sehen. Scharîf, Muhammad, Hussain und Mirna haben samt ihren Familien die kanadische Staatsbürgerschaft erworben und stehen kurz vor der Abreise. Salwa ist vorübergehend aus den Vereinigten Staaten, wo sie ihr bisheriges Leben verbrachte, hierhergekommen und geht nun in Nâdias Klasse, wird aber nach dem Abschluss in die USA zurückkehren. Achmad lebt mit seiner Familie in den Emiraten und besucht in Kairo das Sommerschulprogramm, an dem auch Nâdia teilnimmt, möchte anschliessend aber in Abu Dhabi studieren.
    Die Eltern von mindestens einem Viertel ihrer Mitschüler an der British International School leben laut Nâdia im Ausland. Ausser ihr haben, so schätzt sie, nur zwei Schülerihres Jahrgangs vor, nach dem Universitätsabschluss im Land zu bleiben. Alle anderen wollen auswandern.
    I ch lutschte gerade den Bonbon, den mir Onkel Sâlich hinter Vaters Rücken zugesteckt hatte, als sich sanft eine Hand auf meine Schulter legte. Nâdia umarmte mich überschwänglich. »Herzlichen Glückwunsch, du wunderbarste aller Mütter!«, rief sie. Ich war zu Tränen gerührt, sie so zu sehen, herangewachsen zu einer bezaubernden jungen Frau. Von mir hatte sie nichts geerbt. Mit dem schönen dunklen Teint und dem krausen Haar war sie ganz nach meinem Vater geraten.
    Ich rief Onkel Sâlich an unseren Tisch. Er schien der Zeit erfolgreich zu trotzen, das Gesicht hatte nichts von seinen straffen, markanten Konturen eingebüsst. Wir tauschten einige Erinnerungen aus. Nach kurzem Zögern bat er mich um einen Gefallen. Sein Neffe, Fahrer von Beruf, suche dringend Arbeit. Ob ich ihm eine Stelle beschaffen könne, fragte er. Ich gab ihm die Adresse des Zentrums und sagte, Munîr solle am nächsten Morgen zu uns ins Büro kommen. Dann ging Onkel Sâlich unsere heissgeliebte Limonade holen.
    Nâdias Augen funkelten unübersehbar. Sie redete in einem fort, sprühte vor Temperament. Nach einer Weile gestand sie mir, dass sie sich verliebt habe. Hussain sei so schön wie der Mond.
    Nâdia hatte sich verändert. Plötzlich war sie nicht mehr das ernste Mädchen, das ich so gut gekannt hatte, sondern eine Frau, deren Stimme und Augen voller Sanftheit waren.
    »Es ist Liebe auf den ersten Blick. Ich war vor drei Tagen bei Laila zum Abendessen eingeladen. Kaum hatten wiruns gesehen, fühlten wir uns magnetisch voneinander angezogen. Genau wie im Film, Mama! Ich wollte es dir erzählen, wusste aber nicht,
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