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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten
Autoren: Chalid al-Chamissi
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fünfzehn Uhr, den Nachmittag verbrachte er mit uns, und abends spielte er Schach im Café Hurrîja. Er war der Champion unter den Spielern.
    Nach dem Mittagessen brauchte ich nur zu weinen, dann hob er mich auf die Schultern, machte zwei grosse Schritte,und schon standen wir vor Lappas, genau da, wo ich mich jetzt befand. Es ist nicht mehr das Geschäft, das es einmal war, es sind nur die traurigen Überreste vergangener Zeiten. Ich schaute auf die andere Strassenseite und suchte nach Charlie. Dort drüben hatte er immer gestanden und zugesehen, wie ich mein Eis lutschte. »Charlie Chaplin!«, rief ich, als ich ihn das erste Mal sah, und liess Waffel samt Erdbeereis auf Vaters Kopf fallen. Charlie lachte, kam mit mechanischen Bewegungen, Stock und in seinem ausgeblichenen schwarzen Anzug näher und warf mir mit zahnlosem Mund einen Luftkuss zu. Dabei zitterte sein quadratischer Schnurrbart so heftig, dass er die Nase berührte.
    I ch zog aus dem ehelichen Heim zurück in die Wohnung meiner Eltern. Plötzlich erkrankte meine Grossmutter. Sie hatte, nachdem ihr einziger, in Polen lebender Sohn gestorben war, niemanden mehr, der sie hätte pflegen können. Ich flog zu ihr und holte sie zu mir nach Kairo. Sie verliess ihre Stadt zum ersten Mal. Sie hatte Hitlers Angriff überstanden und alle Wandlungen erlebt, vom Sozialismus über Wirrnisse zum Kapitalismus und zum Beitritt zur Europäischen Union, ohne sich je aus Lublin wegbewegt zu haben. Verzweifelt wie ein Kind, das aus seinem Elternhaus entführt wird, sah sie mich an.
    Unmittelbar nach unserer Ankunft fuhr ich mit ihr für ein paar Wochen nach Fajjûm und kam bei einem Freund in Asbat Tunis unter. Die Luft dort würde ihr guttun, dachte ich. Wie erhofft besserte sich ihr gesundheitlicher Zustand rapide, während sie entspannt dasass und auf den Karûnsee schaute. Fajjûm ist für mich die zweite Heimat nach Kairo.Meine Eltern sind oft mit mir dorthin gefahren, und immer assen wir dann Ente und Seezunge. Ausserdem arbeitete Mutter eine Zeitlang dort. Als Grossmutter von den beiden Enten kostete, die Umm Abdallatîf für uns zubereitet hatte, kam ihr Kreislauf wieder in Schwung, und ich konnte mit ihr frohen Mutes nach Kairo zurückfahren. In ihrer polnischen Lebhaftigkeit polterte sie dann so laut durch die Wohnung, dass sich irgendwann die Nachbarn unter uns über den Lärm beschwerten.
    Doch kaum hatten wir das Haus in Bab al-Lûk betreten, erfuhr ich die erschütternde Nachricht: Unsere langjährige Nachbarin, Tante Amâl, die Witwe des verblichenen Buchhalters Walîd Subhi, war wenige Stunden zuvor gestorben. Solange ich denken kann, hatte sie die andere Wohnung auf der Etage bewohnt. Seit Jahr und Tag hatten wir Tür an Tür gelebt. »Hast du eine Tomate für mich übrig, Tante?« »Leihst du mir sechs Gläser? Wir haben Gäste.« Unaufhaltsam rannen mir die Tränen. Meine Geschichte lief mir unwiederbringlich davon, obwohl ich sie beharrlich einzuholen versuchte. Ich weinte um meinen Vater, um meine Mutter, und ich weinte bei dem Gedanken daran, wie Tante Amâl geschrien hatte, als der mächtige Körper meines Vaters aus der Wohnung getragen wurde. Nun hatte auch sie das dritte Stockwerk und mich verlassen.
    Tags darauf reiste Aiman, Tante Amâls einziger Sohn, völlig aufgelöst aus den USA an. Ich nahm ihn in den Arm, er schluchzte wie ein Kind. Früher hatte ich auf ihn aufgepasst, wenn seine Eltern hin und wieder abends ausgingen. Und nun beim Abschied von seiner Mutter war er wieder zum kleinen Jungen geworden. Bevor er in die USAzurückflog, gab er mir Adresse und Telefonnummer und lud mich ein, ihn in New Jersey zu besuchen. Er habe sich einigermassen etabliert, sagte er, sein Restaurant Aladin sei gut besucht. Weniger Glück habe er allerdings in der Ehe. Ich versprach, es zu versuchen, obwohl ich mir sicher war, dass ich niemals in die Vereinigten Staaten fliegen würde.
    Nach meiner Scheidung nahm mich die Wohnung meiner Eltern auf, in der damals nicht einmal die Mäuse hätten leben wollen. Seit ich geheiratet hatte und meine Mutter gestorben war, hatten nur noch Spinnen, Ameisen und Kakerlaken dort gewohnt, und die scherten sich leider nicht um Sauberkeit. So war alles von einer dicken, wolkenartigen Staubschicht überzogen. Der alte Flügel stand an derselben Stelle wie eh und je und wartete auf mich. Er sah mich mit dem gleichen vorwurfsvollen Blick an, mit dem er mich immer bedacht hatte, wenn ich ihm längere Zeit ferngeblieben war. Dieses
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