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Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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dürftige Wohlfahrt überließen, die sie ihr Schicksal, ihr Verhängnis nannten? – Immer tiefer in das Leben hineingelebt, fällt es wie Mauern hinter jedem ihrer Schritte, den sie zurückgelegt haben; sie sehn auch nur vorwärts, ihrem Gewinne, ihren Titeln, ihrer Ehrerbietung entgegen, die ihnen andre bezeigen, immer enger wird ihr Weg zu beiden Seiten, immer mehr schrumpft ihr Herz zusammen, und das, woran sie leiden, ist ihr Stolz, ihre Krankheit ist ihr Glück, die sie Erfahrung und Weisheit nennen. Sie billigen mit einschränkendem Bedauern die Begeisterung, weil sie sie für das Jünglingsfeuer halten, an dem sie sich als Kinder auch verbrannten, um sich nachher desto mehr davor zu hüten: sie behandeln den Enthusiasten gern wie einen jüngern unmündigen Bruder, und sagen ihm, wie mit den Jahren alles, alles schwindet, und wie er dann das eigentliche Leben, die eigentliche Wahrheit kennenlernt. So unterweist der Schmetterling den Adler, und will, daß er sich doch auch einmal, wie er getan, einspinnen soll, und dem Fluge und der tändelnden Jugend ein Ende machen. So wahr ist es, daß viele in der Unerfahrenheit der Jugend noch am besten sind, daß die Klugheit der Jahre sie erst mit dem dichtesten Nebel überhängt, und daß sie dann den Glanz der Sonne leugnen.”

    9.4. 2010 8:10

    Auf Wiedersehen, Haare.

Vier : 

    9.4. 2010 22:30

    Abends bei Ulrikes Buchvorstellung zu müde, um viel mitzukriegen. C. bringt mich ins Bett.

    12.4. 2010 13:18

    Die bestrahlungsfreien Wochenenden erweisen sich als irgendwie schwieriger als die Werktage. Vielleicht liegt es am Mangel an Struktur. Vielleicht brauche ich auch die Stromzufuhr wie der Held in Crank 2. Toller Film übrigens, beste King-Kong-Szene aller Zeiten.

    14.4. 2010 8:25

    Ist das ein Argument, es vielleicht doch mit ein paar ungewöhnlichen Medikamenten zu versuchen?

    14.4. 2010 17:28

    “Nach Therapieende bitten wir Sie, die nicht mehr benötigten Enten in den Mülleimer zu werfen.” Neben dem Waschbecken ein viereckiges Plastikfläschchen Sterillium zum Hände Desinfizieren, darauf ein durchsichtiges Firmenschildchen von Bode Chemie Hamburg, Melanchthonstraße 27. Vierundzwanzig Jahre ist es her, daß ich immer mit dem VW-Bus zu dieser Adresse fuhr, um diese Schildchen auszuliefern, die ich selbst zuvor als Druckvorlagen auf dem Leuchttisch zusammengeklebt hatte. Und die immer ganz genau kontrolliert wurden, Bode war einer der drei wichtigsten Kunden. Wenn da nur ein Komma angebröselt war, wurde anstandslos die ganze Ladung neu gedruckt.

    Ein halbes Jahr Praktikum in der Druckerei, das brauchte man angeblich fürs Kunststudium in Nürnberg, ein halbes Jahr harte Arbeit, das verschwendetste halbe Jahr meines Lebens. Das war zu der Zeit, als diese Paßfotos entstanden, auf denen ich mich selbst nicht erkannte, und meine Mutter eines Tages sagte: Du willst dich nicht umbringen, oder?

    Jeden Tag stand ich in der Dunkelkammer, drei Minuten, während der Film entwickelte, spürte, wie mein IQ nach unten zählte, und sagte mir Gedichte auf. Lange tot und tiefverschlossen. Alles, was ich so kannte.

    Aber guter deutscher Mittelstand: Wulf Offset gibt’s noch immer, und ich stelle mir vor, wenn’s die immer noch gibt, ist Bode Chemie wahrscheinlich immer noch Kunde, und irgendwo in einem alten Fotokarton in der Wiesenstraße lagern noch immer die Signets, die ich damals sorgfältig umkopiert habe, und finden noch immer ihren Weg auf die Etiketten und in die Krankenhäuser und über die Waschbecken, wo sie mich treu begleiten.

    Eine Gedichtzeile von Eich, die ich immer gut fand: Gruß dir, du Gruß von drüben, wo einst die Welt geschah.

    15.4. 2010 12:30

    Der Onkologe Dr. Vier nimmt die Studie zu Cilengitid, Oncovir und Talampanel auseinander, die ich ihm ausgedruckt habe. Phase-II-Studie mit noch nicht zugelassenen Medikamenten, warum ist das am Ende nicht mal nach Medikament aufgeschlüsselt? Okay, alles zu weit weg. Er spricht von Avastin, ebenfalls Angiogenesehemmer und ohne Zulassung in Deutschland, das er, wenn es so weit ist, mit Ausnahmeregelungen bei der Krankenkasse beantragt. Aber es ist gut, daß ich gefragt habe. Ich habe das Gefühl, in guten Händen zu sein und mich mit der Sache nicht mehr befassen zu müssen. Der Verlust an Lebensqualität, der durch die Beschäftigung mit dem Elend eintritt, wird durch das Ergebnis nicht aufgewogen. Ende des Googelns. Schön nur die neuesten Zahlen, die Herr Genista mir geschickt hat, dort
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