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Aqua

Aqua

Titel: Aqua
Autoren: Martini
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er spürte, wie der Wagen die Bodenhaftung verlor. Würde er sich nebenan auf dem Acker fünf- oder zehnmal überschlagen? Landete sein Auto zuletzt in einem langen Bogen auf dem Dach, das ihm das Genick brechen würde, oder wurde er vorher herausgeschleudert und erst später, wenn Feuerwehr und Krankenwagen längst eingetroffen waren, mit verdrehten Gliedern im Matsch gefunden? Er nahm sachte das Gas weg, während ihm die Lichter auf seiner Spur unbarmherzig entgegen kamen. Die Lücke zwischen den letzten beiden noch zu überholenden Lastwagen vor ihm war zu klein und sein Überschuss an Geschwindigkeit noch viel zu hoch, um dort einscheren und rechtzeitig bremsen zu können. Sie fuhren höchstens neunzig und er hatte noch hundertfünfzig Sachen drauf.
    Es war ein lächerlicher Tod … für einen wie ihn, der alles so genau im Voraus plante, kaum etwas dem Zufall überließ, diszipliniert, besonnen und verantwortungsbewusst immer seine Ziele vor Augen hatte. Er umklammerte das Lenkrad und gab Gas. Die Bremslichter des Sattelschleppers leuchteten auf, als er vorbeirauschte. Über den auf ihn zurasenden Scheinwerfern wurden nun zwei kleinere Lichter erkennbar. Ebenfalls ein LKW.
    Die Straße war nicht breit genug, um mit dem Wagen zwischen zwei Lkws hindurch zu kommen. Thomas’ Wagen erreichte das Fahrerhaus, wo er die in die Höhe geworfenen Arme des Fahrers sah. Das Gaspedal durchtretend, die Hände ans Lenkrad gekrallt, die Angst herausschreiend, sah Thomas mit weit aufgerissenen Augen, wie der Lastwagen frontal auf ihn zuraste. Das Tuten des Horns hatte längst die Oberhand über den Rocksound gewonnen … und dann scherte er zentimeterknapp nach rechts ein. Der Wagen schleuderte zum rechten Straßenrand, Wasserlachen aufstiebend, brach hinten aus, schlingerte zum Mittelstreifen und fing sich, kurz bevor er die Kurve am Kloster Helenenberg nehmen musste.
    An der roten Ampel auf der Römerbrücke nahm Thomas sich vor, den Titel von vorhin nie wieder im Auto zu hören. Er hatte plötzlich einen trockenen Mund. Sein linkes Knie zuckte, wie er es zuletzt als nervöser Fahrschüler erlebt hatte. Selbst als er die Handbremse gezogen hatte, schien der Wagen zu wackeln. Konnte es sein, dass die uralte Brücke nicht mehr lange der gewaltigen Flut standhalten würde?
    Auf dem Parkplatz im Hof des Büros hielt er sich nicht damit auf, den Wagen an das Ladegerät für die Batterie anzuschließen. Er war froh, als er im warmen und trockenen Haus war und bald darauf Isa in die Arme schloss.
    Das regelmäßige Geräusch aus ihrem Traum dauerte an, als sie die Augen öffnete. Es kam nicht von ihrem Festnetzanschluss und auch nicht von ihrem Handy.
    Mitten im Ton brach das Klingeln ab.
    »Ja!« Er räusperte sich. Das Licht blieb aus. Draußen platschte der Regen in die Pfützen. Es war eine Frauenstimme. Sie schien sanft zu sprechen.
    »Nein, ich mache bald Schluss«, sagte er, »ich bin müde.«
    Sie spürte den Schweiß auf ihrem Rücken, wo er sie umarmt hatte. Sie schob einen Fuß unter der Bettdecke hervor.
    »Ich komme bald … oh … die Brücken sind noch frei … ja, ich bin vorsichtig … leg dich wieder hin.«
    Sie schloss die Augen, als er das Telefon auf den Nachtschrank legte.
    »Sie macht sich Sorgen, weil es bei uns in Strömen gießt …« Er hatte seinen neuen Wohnsitz bereits so verinnerlicht, dass er selbst bei ihr darüber sprach, als sei es schon seine Heimat. Er blieb wohl aus Rücksicht neben ihr liegen, weil er gerade mit seiner Frau gesprochen hatte.
    Er drehte sich wieder zu ihr und legte einen Arm über ihrer Taille. Beide schwiegen.
    Nach einer Weile fragte sie: »Woran denkst du?«
    »An Umberto Eco als Kind in Uniform mit dem Arm zu einem Hitlergruß gereckt.«
    »Hmh.«
    »Da war er vielleicht zehn Jahre alt.«
    »Erstaunlich …«
    »Finde ich nicht, er war leicht beeinflussbar wie alle Kinder.«
    »Das meine ich nicht. Es ist erstaunlich, wie verschieden Frauen und Männer ticken. Ich bin noch ganz von dir erfüllt … und du denkst …« Sie stockte. »Du musst los.« Die Worte konterkarierend drehte sie sich um und schmiegte ihren Kopf an seine Brust. Sein Herzschlag verlangsamte sich, als sie die Hand über sein Ohr legte.
    Wenn sie geschlafen hatte, konnte sie die Uhrzeit nicht einschätzen. Es war sicher schon weit nach Mitternacht, er hatte noch etliche Kilometer zu fahren, und in ein paar Stunden musste er schon wieder aufstehen. Jeden Morgen brachte er seinen Sohn zur Schule, bevor er in
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