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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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tun hatte, war im goldenen Benz auf dem Rückweg von München. Als er sich daran erinnert, wird ihm klar, dass er jetzt angekommen ist. Nach einer vierzehnjährigen Reise. Und es ist egal, ob er mit Christine nur eine Affäre haben wird, ob sie Wochen oder Jahre andauern wird, es ist egal, ob sie einander nur heimlich hinter Daniels Rücken in die Arme fallen können – das, was zählt, ist ihre Gegenwart und seine.
    Meike hat sich auf dem Beifahrersitz eingerichtet, die Schuhe ausgezogen und die Füße auf die Konsole gelegt und lässt ihn in Ruhe. Sie scheint zu spüren, dass er seinen Gedanken nachhängen und nicht reden will, sie meldet sich nur ab und zu, wenn er die Richtung ändern soll. Immer wieder wirft sie einen Blick in die Karte: Autobahn bis Ulm, dann über Memmingen und Leutkirch nach Wangen. Die längere, aber schnellere Route. Nach drei Stunden sind sie angekommen und haben unterwegs vielleicht jeweils zehn Sätze gesprochen, ohne sich dabei unhöflich oder schlecht behandelt zu fühlen. Meike scheint ein angenehmer Mensch zu sein.
    —
    »Benno, Benno, Benno«, sagt Carlo, dem nur noch wenige Haare um den ausgemergelten Kopf wehen, und grinst von Ohr zu Ohr, sodass sein Gesicht Falten wirft wie das eines alten chinesischen Hundes, »dass ich dich noch mal wieder umarme, darauf hätt ich eher nicht gewettet.«
    »Die Quoten waren sicher nicht besonders«, sagt Benno und schließt Carlo in die Arme. »Tut gut, oder?«
    »Tut gut«, sagt Carlo.
    »Das ist Meike«, sagt Benno, »der Star der Session.«
    »Willkommen«, sagt Carlo, und sein Hundegesicht wirft noch mehr Falten, »deine Herren Musiker haben sich schon wohnlich eingerichtet und freuen sich auf dich.«
    Meike lächelt schüchtern und lässt sich von Carlo auf die Wangen küssen, während Benno schon den Kofferraum öffnet und zuerst seine Strat herausnimmt, dann die Tasche, dann den kleinen Koffer mit Kabeln und Effektboard. Carlo fasst mit an, wuchtet den Verstärker auf seine Arme und geht voraus in die ehemalige Scheune eines Bauernhofs mit Rosenspalieren, Gemüsegarten, Obstwiese und einem kleinen Teich mit Seerosen.
    In der Scheune wird schon aufgebaut, der Raum ist groß und dezent beleuchtet und eingerichtet. Benno begrüßt die Musiker, einen Markus, einen William, einen Tom und einen, der Knecht genannt wird und als Einziger lange Haare hat. Meike wird von allen geküsst und geschwisterlich auf die Schulterblätter geklopft, diese Leute mögen sich.
    In einem neueren Anbau gibt es vier Doppelzimmer, zwei sind schon belegt von den Musikern, je eines bekommen Meike und Benno für sich allein.
    —
    Carlos fünfzehnjährige Tochter Carmen, ein zierliches Mädchen mit glatten, fast schwarzen Haaren und bunter Brille, hat einen Tisch auf der Obstwiese gedeckt, auf dem sie jetzt, mit Carlos Unterstützung, Eintopf, Brot und Salat serviert, dazu Rotwein, Weißwein, Bier und Wasser. Die Mücken surren, aber stechen nicht, das Kerzenlicht flackert nur hin und wieder, der Abend ist nahezu windstill – Benno mag die Musiker, sie sind aufgeweckt und witzig, auch wenn er spürt, dass sie eine skeptische Vorsicht ihm gegenüber an den Tag legen, immerhin hängt es von seiner Entscheidung ab, ob sie überhaupt mit von der Partie sein werden. Carmen hält wacker mit, fragt und erzählt und klinkt sich nur aus dem Gespräch aus, wenn es ins Fachsimpeln oder Zotenreißen kippt. Meike ist auf eine Art in sich gekehrt, die nicht wie Abwesenheit wirkt, eher so, als ob sie alles um sich herum einfangen und aufnehmen wolle, ohne es zu kommentieren oder zu beantworten. Die Zeit vergeht, und die Müdigkeit kommt, bevor auch nur einer von ihnen auf die Uhr geschaut hat. Es ist Viertel nach eins, als sie aufstehen und sich für morgen früh gegen neun am selben Ort, dem Tisch auf der Wiese, verabreden.
    »Wo ist eigentlich Sylvia?«, fragt Benno, als Carlo und er in der Küche für einen Moment allein sind und die Teller in die Spülmaschine stellen. »Nicht fragen«, sagt Carlo, »kein Thema, jedenfalls kein gutes.«
    »Entschuldige«, sagt Benno, »ich dachte, sie sei auf Fortbildung oder im Urlaub oder so.«
    »Das wär schön«, sagt Carlo, und er muss nicht erst die Arme verschränken, um deutlich zu machen, dass er kein weiteres Wort dazu sagen wird, noch hören will. Benno legt ihm die Hand auf die Schulter und verabschiedet sich.
    —
    Er lässt das Licht im Zimmer ausgeschaltet, die Nacht ist hell, und er sieht genug, um seine Kleider irgendwo
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