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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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sprichwörtlich, er würde sich nicht einfach aufdrängen, aber Benno, der damit rechnete, dass Janet ausgelaugt und müde von der Arbeit und nicht gerade begeistert über Besuch sein würde, hatte nicht viel Zeit, sich darüber zu wundern, geschweige denn, einen Ausweg zu finden, denn die Tür wurde von innen geöffnet, noch bevor er den Schlüssel richtig in der Hand hielt, und ihm schallte ein vielstimmiges »Happy Birthday« entgegen. Der Rest der Band war da und so ziemlich der gesamte Freundeskreis Janets, nur der Architekt fehlte, weil er in einem Projekt in London engagiert war, und seine Freundin, weil sie ihn dort besuchte.
    Benno ließ das Küssen und Umarmen, Schulterklopfen und Gratulieren über sich ergehen, ohne sich richtig darüber freuen zu können – der Überfall störte ihn mehr, als ihn dessen Ursache – Freundschaft und der Wunsch, ihn hochleben zu lassen – rührte. Er brauchte ein paar Minuten, um sich ohne Verstellung der allgemeinen Fröhlichkeit anzuschließen.
    Das Essen wurde geliefert – Pizza Salami für alle, dazu gab es von den Gästen mitgebrachte Salate und Weißwein, den die Band in einer großen Kühltasche angeschleppt hatte. Der Kreis war ein bisschen zu groß, als dass man über den Irak oder den Skandal um die Dixie Chicks hätte reden wollen, man konnte nicht sicher sein, ob einer der Anwesenden nicht doch den Aufkleber »We support our Troops« an der Stoßstange hatte, diese Themen taugten nur für Kleingruppen, und die amerikanische Höflichkeit erlaubt keinen Dissens bei einer Feier, also waren es unverfängliche Gesprächsinhalte, die um Benno herumschwirrten: Urlaube, Janets Ausstellung, die Erfolge der Carson Lounge, das Konzert von Alison Krauss, das sie alle gehört hatten, und die Katzenfamilie von Phoebe, Janets Kollegin, die in einer Blockhütte lebte und sich von ihrer Tochter Crystal den Freund hatte ausspannen lassen. Benno ließ das alles mit möglichst interessiertem Gesicht an sich vorbeirauschen und löschte seinen immer größer werdenden Durst mit kalifornischem Pinot gris.
    »And now for something completely different«, sagte Nick nach dem Essen mit ironischem Jodeln in der Stimme und hob die Hand wie ein Zeremonienmeister, machte mit dieser erhobenen Hand eine überzogen schwungvolle Gebärde hin zu Janet, die vor der Anlage kniete und eine CD einlegte.
    »Sit down, have a drink, close your eyes, and enjoy«, sagte sie, »you’ll get to know the real Benno Krantz, whom you all know as a great musician, but you wouldn’t have guessed, he’s that great. Listen.« Und sie gab der CD-Schublade einen Schubs und ließ sie in den Player gleiten.
    Benno wusste nicht, wie ihm geschah, als er die ersten Töne hörte. Es war Cirrus , das letzte Album mit Daniel, das er seit dem Abend vor seiner Flucht nicht mehr gehört hatte.
    Janet hatte die Anlage sehr laut gedreht, der Sound war überwältigend, und die Anwesenden ergaben sich der Musik mit teils erregten, teils entspannten und teils sogar erstaunten Gesichtern, manche hatten wie auf Befehl die Augen geschlossen, andere starrten vor sich auf den Teppich oder die Tischplatte oder streiften hin und wieder Benno mit einem flüchtigen Blick. Er wusste nicht, wo er hinschauen sollte, fühlte sich zum einen Teil unwohl auf dem Präsentierteller, zum anderen Teil aber stolz und aufgeregt, weil ihn die Fülle und Wucht der Musik selbst überraschte – als Zuhörer fand er sie herrlich und wollte sich ihr ergeben, sie über sich hinwegfließen lassen wie eine warme Welle, sich einhüllen und wegschwemmen lassen, aber er war auch gleichzeitig der Urheber, zumindest zur Hälfte, und fühlte sich ausgestellt, ohne gefragt worden zu sein, ohne darauf vorbereitet zu sein –, er wusste, dass diese Aktion nichts Unfreundliches oder gar Hinterhältiges hatte. Das Ganze war ein Geschenk für ihn, ein großes sogar, denn dieses Album aufzutreiben hatte sicherlich Mühe gekostet, und es hier zu spielen zeugte von Begeisterung. Die anderen sollten erfahren, dass Benno gute Musik gemacht hatte, und dennoch fühlte er sich weniger geschmeichelt als vielmehr hintergangen.
    Immer wieder gelang es ihm, diesen kleinlichen und beleidigten Anteil in seinem Innern niederzukämpfen und einfach nur der Musik zu lauschen, glücklich zu sein, dass er das war, der diese gleißenden Läufe und pulsierenden Muster spielte, aber immer wieder drang es durch und riss Fetzen aus dem Gewebe von Freude und Selbstlob, das ihn umgab bis zum
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