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Aprilgewitter

Titel: Aprilgewitter
Autoren: Lorentz Iny
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das nicht auf dem Rücken geschlossen wurde.
    Nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, dachte sie einen Augenblick daran, dass das Haus nun leer stand. Allerdings würde ein Dieb eine herbe Enttäuschung erleben, denn sie hatte nicht nur viele ihrer Kleider und Möbelstücke, sondern auch fast ihren gesamten Schmuck im Palais Retzmann in Bremen zurückgelassen, weil sie mit dem endgültigen Umzug hatte warten wollen, bis ihr neues Heim eingerichtet war.
    In der Aufregung der letzten Zeit hatte sie jedoch keine Zeit gefunden, sich um das Nachholen dieser Sachen zu kümmern. Ihre Gedanken waren stets um das Modegeschäft gekreist. Als sie nun die Turmstraße entlang hastete, um das nur wenige hundert Meter entfernte Haus zu erreichen, in dem ihre Freundin wohnte, fragte sie sich zum ersten Mal ernsthaft, ob dies ein Fehler gewesen war. Vielleicht hätte es Fridolin und ihr gutgetan, wenn sie sich mehr um ihn als um ihre eigenen Belange gekümmert hätte. Nein, sagte sie sich im nächsten Moment. Auch dann wäre es früher oder später zum Streit gekommen.
    Sie trat neben eine Straßenlaterne, deren Licht auf eine Litfaßsäule fiel. Ein großes, von einem angesehenen Grafiker gestaltetes Plakat stach Lore in die Augen, und sie blieb stehen, um es noch einmal anzusehen. Es zeigte eine in englischer Mode gekleidete Dame. Darunter stand in geschwungenen Buchstaben: »Mrs. Mary Penn gibt sich die Ehre, die Eröffnung ihres Modesalons in der Leipziger Straße, Ecke Markgrafenstraße, bekanntzugeben.«
    Mary führte das Modegeschäft bewusst unter ihrem englischen Mädchennamen Penn, der die von der Kronprinzessin begeisterten Berliner Damen eher locken würde als ihr erheirateter Name Benecke. Lore vergaß ihren Unmut und lächelte. Die aufwendige Reklame hatte etliche Frauen des gehobenen Bürgertums und sogar Damen von Adel dazu gebracht, Mrs. Penns Modesalon aufzusuchen und Kleider bei ihr zu bestellen. Obwohl Mary bereits zwei Näherinnen eingestellt hatte, kamen sie mit der Arbeit kaum nach. Daher arbeitete Lore mit, wenn auch nur in ihren eigenen vier Wänden und zu jenen Zeiten, in denen Fridolin nicht zu Hause war.
    Lore hörte Schritte hinter sich und ging weiter. Zwar gab es in manchen Teilen der Stadt bereits elektrische Straßenbeleuchtung, die beinahe taghelles Licht verbreitete, doch hier wurden die Laternen noch mit Gas gespeist und erleuchteten das Trottoir nur wenige Meter weit. Zu ihrer Erleichterung bogen die Schritte in die Waldstraße ab. Kurz darauf erreichte sie das Eckhaus an der Kreuzung Turmstraße und Ottostraße und schlug den Türklopfer an.
    Der Hauswart öffnete ihr. Da er sie von ihren Besuchen bei Mary kannte, schüttelte er missbilligend den Kopf. »Aber Frau von Trettin! Um die Zeit sollten Sie nicht mehr ohne Begleitung ausgehen.«
    Lore begrüßte ihn lächelnd und ging an ihm vorbei zu der Tür der Wohnung im Hochparterre. Als sie dort klopfte, ließ Marys Ehemann Konrad sie ein, nicht ohne sie ebenfalls zu tadeln. »Lore, bist du allein und zu Fuß gekommen? Das solltest du nicht tun. Berlin ist nicht Bremen. Dort konntest du um diese Zeit noch flanieren, doch hier musst du dich vor Bettlern und anderem Gesindel hüten.«
    »Ich habe nicht angenommen, dass es so schnell dunkel wird«, antwortete Lore.
    Kopfschüttelnd drehte Konrad Benecke sich um. »Mary, Lore ist da!«, rief er durch die halb offene Tür.
    »Das ist schön! Ich hätte sie sonst morgen aufgesucht, um ihr zu sagen, dass wir heute eine neue Kundin gewonnen haben. Allerdings ist die Dame sehr kritisch«, klang es fröhlich zurück.
    Lore trat ein, umarmte ihre Freundin und setzte sich auf einen Stuhl, während Konrad in die Küche eilte, um für den späten Gast etwas zu trinken zu holen. Da Mary spürte, dass Lore etwas auf dem Herzen hatte, musterte sie ihre Freundin nachdenklich.
    Lore war eine schöne Frau, vielleicht etwas zu hoch gewachsen, mit einer schlanken, biegsamen Figur, einem festen, nicht zu großen, aber auch nicht zu kleinen Busen sowie weizenblonden Haaren in einer Fülle, die es ihr erlaubte, ihre Frisur ohne fremde Haare und andere Hilfsmittel aufzustecken. Blaue Augen leuchteten aus einem sanft gezeichneten Gesicht, doch eine steile Falte zwischen den Augenbrauen deutete auf Kummer hin.
    »Gibt es etwas, was dich bedrückt?« Mary sprach mit starkem Akzent, war aber gut zu verstehen.
    Lore lächelte verlegen. »Dir kann ich wirklich nichts verheimlichen. Es geht um Fridolin. Ich erkenne
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