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Applebys Arche

Applebys Arche

Titel: Applebys Arche
Autoren: Michael Innes
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brauchte man
nur zu ziehen – Appleby fuhr nachdenklich mit den Fingern darüber, wie andere
es in anderen Wachen der folgenden Nächte auch tun mochten. Man brauchte nur
daran zu ziehen, und viel aller Voraussicht nach vergebliches Leiden wäre
ausgestanden, würde, bevor es noch begann, hinuntersinken zu den emsigen
Schwärmen des cerberus muriaticus .
    Er hatte eine kleine Lampe in der Tasche und sah sich verstohlen die
Luke näher an. Zum Öffnen diente ein Hebel – oder eigentlich kein Hebel,
sondern eine Art Schlüssel, nur ein langer Stift mit einem Griff am einen Ende.
Er zog ihn heraus und warf ihn ins Meer. Dann ging er zur Bar und hievte Whisky
und Liköre über Bord; an der Erfrischungstheke warf er ihnen noch das
Fläschchen voll Chemie, das für hundertachtzig Liter reichte, hinterher. Auf
dem Rückweg zum Ruder stieß er mit dem Fuß an die Zigarrenkiste; er nahm
vier heraus und warf den Rest ebenfalls fort. Polizisteninstinkt, dachte er bei
sich, zündete seine eigene an und bezog wieder Posten. Bruchstücke von Versen
huschten ihm durch den Sinn. Sein oder Nichtsein. Daliegen, kalt und regungslos,
und faulen. Trink’ ich Vergessen eines Tags, so raub’ ich meiner Seele ihn.
Doch wer wird hängen an vergeblich’ Leben … Er zog an seiner Zigarre – einer
guten Zigarre, die ihren Platz in jener Hierarchie der kleinen sinnlichen
Freuden hatte, die jeden Menschen sich immer wieder ans Leben klammern und die
Nacht des Alters hinausschieben ließ, so gut es ging. Er sah hinauf zu den
Sternen. Sie hatten ihm nichts zu sagen, auch wenn sie unbestreitbar schön
waren, und es war kein Wunder, daß man sie geheimnisvoll und ehrfurchtgebietend
fand. Er blickte hinaus auf den dunklen Ozean. Zuviel Unendlichkeit war für
niemanden gut. Er wandte sich der politischen Lage in der Türkei zu. Da taten
sich doch interessante Möglichkeiten auf.

Kapitel 3
    Die Sonne brauchte nun länger – mindestens zweimal so lang – für
ihren Weg über den Himmel, und ihre Strahlen waren heißer – mindestens zweimal
so heiß. Die Decken waren aufgespannt und warfen träge hin- und herschaukelnde
Fleckchen Schatten. In einem davon kniete Hoppo und betete. Allen war es
peinlich – allen außer Mrs.   Kittery, die so etwas noch nie gesehen hatte und
unschuldig zusah, die schwarzblauen Lippen geöffnet. Physisch hielt sie sich
prächtig, dachte Appleby. Wie ein gutes Linoleum, das sich an allen Stellen
gleich abnutzt. Aber selbst bei Mrs.   Kittery würde es nicht mehr lange dauern,
bis die Jute zum Vorschein kam.
    Das Wellental, in das die Bar eintauchte, war tiefer als zuvor; bald
würde das Wetter umschlagen. Hoppo rollte wie ein halbvoller Kartoffelsack, und
schließlich schlingerte er hinüber zu Glover, der am Ruder saß. »Ich spüre«,
flüsterte er, »wie ich immer höher und höher gerate.«
    »Höher?« Glover blickte empor zu dem drohenden Wellenkamm hoch über
ihnen.
    »In meiner Einstellung. Ich habe noch einmal die Neununddreißig
Artikel überdacht.«
    »Neununddreißig Faden«, sagte Miss Curricle. »Vierzig Faden.
Einundvierzig Faden.«
    Miss Curricle hatte schon Tage zuvor den Verstand verloren und
steckte seither tief im Tongagraben. Ihren Berichten zufolge war es kühl und
dunkel dort unten – die Dunkelheit allerdings erhellt von Schwärmen und Wirbeln
und Spiralen prachtvoll illuminierter Fische. Manche waren finstere Massen mit
nur einem einzigen durchdringenden Suchscheinwerfer in der Stirn; manche
zeigten, wie ein nächtliches Zirkuszelt, ihre Umrisse mit bunten Feuerperlen;
manche waren ein einziger, halb durchsichtiger Lichtschein. Lichterreklamen,
wie sie noch vor kurzem am Piccadilly Circus geprangt hatten. Und hier wie dort
eine Welt der Gefahren. Miss Curricle duckte sich, und man wußte, daß sie
gerade wieder dem Zuschnappen gewaltiger Kiefer entgangen war, sie wand sich,
wenn die meterlangen Tentakeln nach ihr griffen.
    Appleby saß am Bug und lauschte der Geisterstimme Unumunus und
seinem unendlichen anthropologischen Monolog. Die Kipiti, die Aruntas, die
Papitino, die Tongs. In Unumunus Fieberträumen schwebte die Bar über Mangrovensümpfe,
über Wüsten und Tundren, zwischen Eukalyptus- und Palmbäumen. Die Inseln der
Menschenfresser tauchten am Horizont auf und verdichteten sich zu Archipelen,
deren flache Gewässer rot von Blut waren. Die Sonne schleuderte ihre Assagais,
und der sanfte Wind wehte die Klänge der Trommeln herüber, unbekannte Gesänge,
das Stampfen der Füße im
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