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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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Art Aschenputtelball in der Waldeslust gewesen sein, wo Zigaretten glühten und der Schnaps lief und immer der Radetzkymarsch spielte und die Leute aussahen wie Lumpen, die sich im Tanze drehten, so lange, bis ihnen schwindelig war.
    Ich verstand nicht, warum meine Großmutter Apollonia so böse war auf den Lumpenball, und warum sie so schreien musste, wenn der Großvater wiederkam. Aber sie schrie, da seien nur Säufer und schlechtes Gesocks, und mit denen war er dabei, alles draufzutreiben, so sagte meine Oma, alles draufzutreiben, mit dem Lumpenpack!
    Ich hörte meinen Großvater immer die Treppen hinaufbollern und roch die Wolke vom Sägemehl und Kräuterschnaps und wie er leise fluchte, wenn er gestolpert war oder ihm seine staubige Kappe vom Kopf herunterfiel.
    Aber er schaffte es immer wieder hinauf, und dann holte er sich nach dem Wutanfall meiner Großmutter noch einen Kaffee oder warf sich auf das Schesselong und schlief ein vor dem Fernseher.
    So hatte alles seine Gewohnheit, und wir machten uns nichts daraus, und es ging seinen friedlichen Gang, unser Opa Klemens war immer ein wenig betrunken, und unsere Oma Apollonia war immer böse, und dann ließ es wieder nach.
    Je öfter mein Großvater aber auf den Lumpenball ging und untertags zum Honiels, umso schlimmer wurde es mit seinen Beinen. Er konnte nun beinahe gar nicht mehr geradeaus gehen. Es war dann gut, wenn einer seiner Saufkumpane ihn nach Hause begleiteten, sonst fiel er womöglich in den Straßengraben.
    Wenn er vom Lumpenball kam, konnte er kaum noch die Treppen hinauf und musste sich am Geländer festhalten, und die Zimmermannshosen schlackerten um seine Beine herum.
    – Ach, schrie meine Großmutter dann, fall doch die Treppe herunter, mir doch egal!! Das ist der Sünden Schuld!!
    Manchmal hatte er sich unterwegs den Kopf aufgeschlagen und blutete, und meine Großmutter sagte:
    – Du Säukerl, geschieht dir recht, eysch haue dir noch ein Loch in den Kopf!
    Dann wandt er sich ein graukariertes Abtrockentuch um den Schädel, und das Abtrockentuch hatte ich hinterher nicht mehr nehmen wollen, auch als die Flecken längst rausgewaschen waren.
    Ich fürchtete mich ein wenig, wenn mein Großvater nach Hause kam von diesem schlimmen Lumpenball, aber wenn er fort war, dann war es bei Oma schön in der Küche.
    Ich betrachtete mir stundenlang ihren Dotz im Nacken, und dann fragte ich: Darf ich ihn aufmachen, und zu meiner Verwunderung sagte sie ja.
    Ich erinnere mich genau, wie ich voller Ehrfurcht zum ersten Mal das feine, durchsichtige Netz abzog und es schrumpelte in meiner Hand zusammen. Die Haarnadeln, die ich aus dem Dutt zog, waren geriffelt und gebogen, so dick und schwer, dass sie mir wie aus Eisen vorkamen. Der Zopf kam mir entgegen und war lang und länger und immer länger und wurde immer dünner und war am Ende ganz verknickt und verbogen. Doch als ich ihn öffnete, geriet ich in Ektase. Das Haar schimmerte und glänzte, und ich kämmte es mit dem gelben Hornkamm, dem ein paar Zinken fehlten, bis ich eine Flut von herrlichen Wellen über ihren ganzen Rücken ausgebreitet hatte, so hell und grau und braun und silbern und schwarz wie der Brauneisenstein.
    Ich durfte die Haare flechten und aufstecken und meine Erdbeerspangen hineinmachen und die Haargummis mit Plastikröslein und Klickerkirschen.
    Ich erfand Frisuren, eine nach der anderen, und die Haare meiner Großmutter türmten sich höher und höher, ich machte ihr Königinnenhaare, Kaiserwetter-Frisuren, ich zauberte ihr mächtige, unordentliche Haarkränze um das Haupt, ich schuf Hochgebirge auf ihrem Kopf, ich formte Kronen und Ballfrisuren und wand Geschenkbänder und alle meine glitzernden bunten Perlen aus dem Perlenkasten hinein, ich verwandelte meine Großmutter Apollonia Tag für Tag in eine alte, grauhaarige, kostbare Märchenbraut.
    Die grauhaarige Märchenbraut aber sollte einen Fürsten erwarten oder den Sägemehlsprinzen. Doch der Lumpenball, auf dem mein Großvater getanzt hatte, war einmal so schlimm, dass er nicht mehr davongekommen ist. Auf dem Heimweg ist er tief in den Chausseegraben gestürzt, dass er sich so zugerichtet hat und geblutet hat aus allen Löchern, schrecklich geblutet, dass sie ihn in Decken gewickelt und heimgebracht haben, und die Decken waren von Blut durchtränkt, und so haben sie ihn meiner Großmutter in die Tür gestellt, wankend und blutüberströmt.
    Meine Großmutter hatte die Tür aufgerissen und schrie:
    – Da kommt er ja – der
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