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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter
Autoren: Gmeiner-Verlag
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neue Puppe nie so ganz als mein Puppenkind ansehen, es fehlte irgendetwas, das ich nicht genau benennen konnte. Aber sobald ich der Puppe in die Augen sah – blaue, kalte Porzellanaugen – da wusste ich, ich konnte sie nicht lieb haben. So wie ich es mir wünschte.«
    Hinterhuber schlug ein Bein über das andere und strich mit den Händen seine Hosenbeine entlang. Eindeutige Zeichen seiner Ungeduld. Franca hingegen betrachtete die Frau aufmerksam. Was sie erzählte, klang hochinteressant.
    Frau Rehberg hob den Kopf und lächelte unsicher. »Als kleines Mädchen konnte ich mir nichts anderes vorstellen als verheiratet zu sein und Mutter zu werden. Obwohl nichts Organisches vorlag, wurde ich einfach nicht schwanger. Schließlich haben mein Mann und ich uns entschlossen, ein Kind zu adoptieren. Marcus war solch ein hübscher Junge. Blond, blaue Augen. Und vier Jahre alt, also noch relativ klein. Er gefiel meinem Mann und mir auf Anhieb. Das Jugendamt hat uns auf die schwierigen Familienverhältnisse aufmerksam gemacht, aus denen er kam. Aber wir dachten, dass wir das schon hinkriegen. Wir haben darauf vertraut, dass wir mit unserer Liebe all das wieder gut machen können, was dem Jungen im Laufe seines kurzen Lebens angetan worden war. In dem Alter ist ein Kind noch formbar, daran glaubte ich fest.« Sie stockte. Tränen rannen ihr über das runde Gesicht und die Hamsterbacken bis zu den Mundwinkeln. Sie wischte sie mit einem Batisttuch weg, das sie irgendwo herzauberte.
    »Als Marcus zu uns kam, konnte er kaum sprechen und hat noch in die Hose gemacht. Das änderte sich innerhalb kürzester Zeit. Wir haben ihn verwöhnt. Vielleicht ein bisschen zu sehr. Das mag wohl sein. Aber er hat schnell gelernt und sichtbare Fortschritte gemacht. Seine Einschulung verzögerte sich nur um ein Jahr, war also noch im Rahmen des Normalen, obwohl er doch solche Defizite hatte.« Wieder fuhr sie sich mit dem Taschentuch übers Gesicht, um die stetig fließenden Tränen abzuwischen. »Oft, wenn ich so mit ihm dasaß und mit ihm spielte oder lernte, dachte ich, dass etwas mit dem Jungen nicht stimmt. Ich konnte anfangs gar nicht so recht sagen, was es war. Er war einfach nicht so wie andere Kinder. Nicht so herzlich. Und manchmal hatte er so einen seltsamen Blick. Schon damals habe ich gedacht, das ist ja wie bei meiner Puppe. Er war so distanziert. Wenn ich ihn umarmte, dann schob er mich weg. Jede noch so kleine Zärtlichkeit lehnte er ab. Erst viel später hat sich das verändert. Da konnte er richtig liebevoll sein. Und trotzdem ... Es war irgendwie nur merkwürdig.«
    Franca hörte der Frau aufmerksam zu. Es schien, als habe sie all die Worte in sich gehortet, um sie ihnen hier und heute mitzuteilen. Als ob ein Deckel geöffnet worden war, der bisher verschlossen gehalten wurde. Auch Hinterhuber schien ihr jetzt vollkommen konzentriert zuzuhören.
    »Schon früh hat sich Marcus für Tiere interessiert«, fuhr die Frau fort. »Er hat die Vögel beobachtet, wusste ihre Namen auswendig. Ich kaufte ihm Bücher, die hat er geradezu verschlungen. Er hat sich für vieles interessiert und es war auch nicht, dass er unfreundlich war, oder undankbar, das nicht. Aber ... es gab einfach keine Nähe zu ihm.« Sie schluckte.
    Die Standuhr tickte laut. Die Ketten spannten sich. Zwei dumpfe Schläge ertönten. Halb fünf. Dann war es wieder still im Zimmer.
    »Schließlich ist diese Sache in der Schule passiert«, fuhr sie fort. »Marcus konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn er das Gefühl hatte, jemand sei besser als er. Bei uns war er gewohnt, die erste Geige zu spielen. Anscheinend glaubte er, das gelte überall. Aber in der Schule war er eben ein Kind unter vielen. Er war oft sehr aggressiv und kämpfte manchmal richtig um Anerkennung. Einmal hat er sogar ein Kind, das eine bessere Note bekam als er, krankenhausreif geschlagen.«
    Das Bild, das sich Franca von Hannahs Mörder machte, nahm immer deutlichere Konturen an.
    »Was sollten wir denn tun? Wir konnten ihn doch nicht ins Heim zurückschicken, oder?« Die Frau sah Franca mit flehendem Blick an. Franca nickte ihr aufmunternd lächelnd zu.
    »Ein Kind ist doch kein Spielzeug, das man umtauschen kann. Also hab ich mich immer wieder um ihn bemüht.«
    »Hat Ihr Sohn Haustiere gehalten?«, fragte Franca.
    Der Kopf der Frau schnellte hoch. Dann nickte sie. »Als er klein war, hatte er einen Hamster. Dann haben wir ihm Meerschweinchen gekauft.«
    »Wie ist er mit diesen Tieren
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