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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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wurde abermals getroffen und erlangte wie durch ein Wunder mit wild rudernden Armen sein Gleichgewicht zurück, gerade, als er davon überzeugt war, stürzen und sich auf dem mit scharfen, tödlichen Steinklingen übersäten Boden den Schädel einschlagen zu müssen. Etwas traf sein Knie mit der Gewalt eines Hammerschlags, dann spürte er, wie seine rechte Schulter wie von einer dünnen, weiß glühenden Klinge getroffen und aufgerissen wurde und warmes Blut seinen Rücken hinunterlief, doch nichts von alledem vermochte ihnaufzuhalten. Janice stand noch immer da und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Spalt im Fels. Es war Irrsinn, er wusste es, aber er würde sie nicht ein zweites Mal im Stich lassen, und wenn sie ihn ins Verderben wies, vielleicht konnte er dann endlich den Preis bezahlen, den er ihr schon vor zehn Jahren schuldig gewesen wäre.
    Hinter ihm stürzte ein gewaltiger Abschnitt der Felsendecke ein, und der Spalt, vor dem sich ihre schlanke Gestalt erhob, schloss sich mit einem knirschenden, dumpfen Laut – genau in dem Moment, in dem Mogens ihn erreicht hätte, wäre er seinem ursprünglichen Weg gefolgt.
    Wenige Augenblicke später erreichte er den rettenden Ausgang, quetschte sich mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung hindurch und taumelte auf den von Sonnenlicht überfluteten Strand hinaus. Hinter ihm brach ein ganzer Abschnitt der Felsenküste zusammen und rutschte mit ungeheurem Getöse ins Meer, aber das hörte Mogens schon nicht mehr.
    Er brach zusammen und verlor das Bewusstsein, noch bevor sein Kopf auf dem nassen Sand aufschlug.

Diesmal war es keine Einbildung: Die Hand, die auf seiner Stirn lag, war ebenso real wie die Stimme, die in monotonem, aber ungemein beruhigendem Tonfall auf ihn einredete. Er fror noch immer erbärmlich, denn er lag fast bis zu den Hüften im eisigen Wasser, das mit sanftem Wellengang an seinen Beinen zerrte und jedes Mal ein winziges bisschen Wärme mehr mitnahm. Er wartete darauf, dass sich auch die Schmerzen zurückmeldeten – die letzte klare Erinnerung, die er hatte –, aber alles, was er spürte, war etwas wie ein furchtbarer Muskelkater am ganzen Körper.
    Mühsam öffnete er die Augen und blinzelte so direkt in die Sonne, dass er sofort und mit einem zischenden Laut die Augen wieder schloss. Es hätte früher Morgen sein müssen,aber die Sonne stand fast genau über ihm, und ihr Licht war unerträglich grell. Mogens ertappte sich bei der durch und durch albernen, aber in diesem Moment durchaus ernsthaft gestellten Frage, ob es überhaupt noch die Sonne war, die er kannte, oder nicht vielmehr der Hundsstern.
    Aber das war albern. Es ist voller Wasser, hatte Graves gesagt; aber er konnte atmen.
    Vorsichtig drehte er den Kopf, bis er die Berührung des Sonnenlichts nicht mehr fühlte, und öffnete dann zum zweiten Mal die Augen. Das Licht war nach wie vor unangenehm hell, zumal es vom fast weißen Sand des Strandes reflektiert wurde, auf dem er lag, aber nicht mehr unerträglich. Ein verschwommener Schatten zeichnete sich auf dem Sand neben ihm ab, und in einiger Entfernung gewahrte er einen ebenfalls verschwommenen, formlosen Umriss in beruhigendem Grün. Mogens blinzelte, und sein Blick klärte sich.
    »Jetzt stellen Sie sich nicht so zimperlich an, Professor«, sagte eine Stimme neben ihm. »Sie sind noch am Leben, und soweit ich es erkennen kann, auch noch in einem Stück.«
    Womit er auch noch die Möglichkeit ausschließen konnte, gestorben und im Paradies zu sein, dachte Mogens mit einem lautlosen Seufzen, während er den Kopf auf die andere Seite drehte und in Miss Preusslers Gesicht hinaufblinzelte. Seine Augen funktionierten immer noch nicht richtig, aber er erkannte trotzdem, dass der Ausdruck auf ihren Zügen nicht wirklich zu dem spöttischen Klang ihrer Stimme passte. Wenn er jemals in das Gesicht eines Menschen geblickt hatte, der fast krank vor Sorge war, dann jetzt in das ihre.
    »Wenigstens bin ich nicht in der Hölle«, murmelte er.
    »Wenn Sie das aus dem Umstand schließen, dass ich auch hier bin, sind Sie vielleicht etwas voreilig, Professor«, antwortete Miss Preussler. »Nach allem, was ich in den vergangenen Stunden mit angesehen habe, ohne etwas dagegen zu tun, werde ich zumindest für etliche Jahrhunderte im Fegefeuer schmoren müssen.« Sie machte ein todernstes Gesicht bei diesen Worten, aber in ihren Augen funkelte es spöttisch, und als Mogens die Ellbogen in den Sand stemmte, um sichaufzusetzen, schüttelte sie
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