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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen
Autoren: Karen Duve
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schlug Jiminy versöhnlich vor.
    »Wie kommst du darauf, dass es denen gut geht?«, giftete ich zurück. »Die sind nicht glücklich, die sind jetzt alle tot.«
    Ich trug ihr immer noch die moralische Belehrung nach. Wer lässt sich schon gern bevormunden? Ich zeigte auf den Fernseher.
    »Viel zu große Herde«, sagte ich, obwohl ich gar nicht wusste, wie groß eine ideale Gänseherde sein sollte. »Glaubst du, die fühlen sich in dem Gedränge wohl? Und siehst du irgendwo Wasser? Das sind Gänse, Mensch! Gänse! Das sind Wasservögel, die haben die Schwimmfüße nicht, um das Gras platt zu trampeln, die wollen schwimmen.«
    Jiminy schaute betreten auf den Bildschirm. Ich lehnte mich zurück. Es tat gut, jemanden, der moralisch über einem stand, in die Schranken zu weisen.
    »Außerdem halte ich es für äußerst unwahrscheinlich, dass auch nur eine einzige von denen jemals ihre Mutter gesehen hat«, legte ich nach. »Die kommen aus der Brutmaschine. Die sind alle Waisen. Verstört und orientierungslos haben die die Glühbirne der Welt erblickt und nirgendwo eine Mutter, die ihnen beruhigend hätte zuschnattern können. Nichts als Hunderte anderer Waisen um sie herum und weit und breit kein Wasser unterm Schwimmfuß.«
    »Ich finde es sowieso viel besser, wenn du Weihnachten vegetarisch isst«, sagte Jiminy. Ich knurrte etwas Unverständliches.
    Am Abend des Tages, an dem ich beschloss, ein besserer Mensch zu werden, saß ich immer noch vor dem Fernseher. Jiminy war nach Berlin auf eine Party gefahren, und ich musste keine Kritik fürchten. Neben mir stand ein Glas eiskalter Coca-Cola light, Bulli schlabberte sein aufgeweichtes Trockenfutter, und im Fernsehen lief die britische Komödie »Notting Hill«. Hugh Grant, bzw. die Person, die von Hugh Grant gespielt wurde, war von der Frau seines Lebens (Julia Roberts) verlassen worden, und nun versuchten seine Freunde, ihn nacheinander mit drei verschiedenen neuen Frauen zu verkuppeln. Für diesen Teil des Films hatte der Drehbuchautor nicht allzu viel Zeit vorgesehen – etwa zwei Minuten. Er stand also vor dem Problem, die jeweilige Frau innerhalb weniger Sekunden so zu charakterisieren, dass jedermann klar wird, dass sie für unseren Helden nicht infrage kommt. Bei Frau Nummer zwei hat er es so gelöst: Frau mit albernen Zöpfen sitzt am Tisch, ihr wird »etwas Weinschnepfe« angeboten, Frau sagt: »Nein, vielen Dank, ich bin Frutarierin.«
    Hugh Grant: »Ohh … was ist ein Frutarier, Keziah?«
    »Na ja, wir glauben, Gemüse und Früchte besitzen eine Seele, und deshalb halten wir Kochen für grausam. Wir essen nur Dinge, die von allein von den Bäumen und Sträuchern runterfallen, weil nur die richtig tot sind.«
    »Ahh, alles klar … so ist das also … also diese Möhren hier …«
    »… sind ermordet worden! Ja.«
    »Ermordet … die armen Möhren, das, äh, ist ja bestialisch.«
    Ich musste sehr lachen. Das kam natürlich gar nicht infrage, dass der lässige Hugh Grant sich mit so einer verkniffenen Spaßbremse zusammentat, da war ich völlig einer Meinung mit dem Drehbuchautor.
    Aber während ich lachte, fühlte ich mich seltsamerweise etwas unbehaglich. Ehrlich gesagt, wusste ich ja nicht einmal genau, wie sich eine Frutarierin überhaupt ernährte. Nachdem Hugh Grant und Julia Roberts sich gekriegt hatten, setzte ich mich vor meinen Computer und streifte auf der Suche nach näheren Informationen durchs World Wide Web. Aha, ein Frutarier war jemand, der nur Pflanzenteile aß, die man nehmen konnte, ohnedie Pflanze zu zerstören. Meistens eben Früchte. Einen Apfel kann man essen, ohne dass man die eigentliche Pflanze, den Apfelbaum, dadurch verletzt. Bei Salat geht das nicht, bei Wurzeln und Kartoffeln auch nicht. Nüsse, Tomaten und Sonnenblumenkerne sind wiederum erlaubt. Nun ja, ein bisschen lächerlich schien mir das immer noch, vor allem aber sehr anstrengend und kompliziert. Gleichzeitig rührte es mich, dass ein Mensch so viele Einschränkungen und Komplikationen ertrug, um Pflanzen und Tiere zu schonen, und dafür auch noch den Hohn der restlichen Menschheit in Kauf nahm. Einer Menschheit, die es für so selbstverständlich ansah, dass Tiere schwer misshandelt wurden, dass sie das Einhalten eines Minimalstandards, wie den schlichten Umstand, dass Gänse auch mal an die frische Luft dürfen, für eine bemerkenswerte Sache hielt. So außergewöhnlich, dass man darüber einen kleinen Mittagsmagazin-Einspieler machen und die Tiere zu Glückspilzen
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