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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen
Autoren: Karen Duve
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ich Orangen kaufen wollte und auf dem Schild bei den gespritzten Früchten »Orangen« angeschrieben stand. »Bio-Orangen«, das klang wie eine Sonderform, eine aufbereitete Spezialnahrung für hysterische Umweltaktivisten. Ich wollteaber einfach bloß Orangen kaufen. Hätte allerdings auf dem Schild bei den Bio-Waren statt »Bio-Orangen« einfach nur »Orangen« gestanden und auf dem Schild bei den konventionell angebauten Früchten »Mit als krebserregend geltenden Wurm-, Pilz-, Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel behandelte Orangen«, hätte ich aller Wahrscheinlichkeit nach die Bio-Apfelsinen als die eigentlichen Orangen wahrgenommen und gekauft, ohne auf den Preis zu schauen. Und hätte am Ausgang des Supermarkts ein Mensch gestanden und mir mit heiserer Stimme zugeflüstert: »He, du da! Pscht! Ich fürchte, du hast die teuren Orangen gekauft. Das war doch sicher keine Absicht. Komm her, ich gebe dir 20 Cent zurück, wenn ich dafür Orthophenylphenol, Thiabendazol und Imazalil auf die Schalen deiner Orangen schmieren darf. Die gelten zwar als krebserregend, das ist aber noch gar nicht 100 % erwiesen«, so hätte ich dankend abgelehnt.
    Wenige Schritte hinter dem Gemüsestand gibt es ein Regal, das den größten Teil des Rewe-Bio-Sortiments auf 5 Metern Breite und 2 Metern Höhe anbietet. Zwei verschiedene Tafeln Schokolade, sechs verschiedene Nudelarten, Reis, Hirse, Gewürze, ein paar Konserven, Mehl und Zucker. Es ist ein bisschen wie bei Mutti. So, das gibt es jetzt und damit basta. Wenn’s dir nicht schmeckt, kannst du ja woanders hingehen. Andererseits muss ich nicht mehr durch kilometerlange Gänge irren und mich zwischen 60 verschiedenen Marmeladen oder zwölf Buttermarken entscheiden. Nur die Auswahl an Bio-Müslis ist immer noch unangenehm groß. Ich erledige meinen Bio-Einkauf in fünfzehn Minuten, und es sind haufenweise Produkte dabei, die ich noch nie in meinem Leben gegessen habe. Ein Paprika-Brotaufstrich, ein Glas mit rötlich-grauem Johannisbeer-Apfel-Mus und eine Schokoladentafel in einer unattraktiven schwarzen Verpackung. Im Kühlregal finde ich dann noch vier Bio-Fertiggerichte, drei davon mit Nudeln. Ich kaufe sie alle. Das stundenlange Zubereiten von Nahrungsmitteln ist was für Tagediebe und masochistische Hausfrauen. Jedes Fertiggericht kostet 2,99 Euro. Ähnliche Produkte ohne ökologisches Zertifikat sind für 2,49 im Angebot. Von allen Bio-Produkten ist nur das Olivenöl wirklich teuer, über fünf Euro. Unterm Strich habe ich etwa zwanzig Prozent mehr bezahlt, als wenn ich mies und unfair gehandelte, mit Pestiziden bespritzte und unter Einsatz von Tierfolter hergestellte Waren gekauft hätte.
    Als Jiminy und ich mit dem Auto nach Hause kommen, ist es bereits dunkel. Mitten auf der Straße, im Lichtkegel der Straßenlaterne steht ein Fuchs. Er wittert zum Stall hinüber, in dem das letzte lebende Huhn schläft, und hat uns noch nicht bemerkt. Ich mache das Fahrlicht aus, schalte in den Leerlauf und lasse das Auto langsam auf ihn zurollen. »Was hast du vor?«, sagt Jiminy, »der kann doch auch nichts dafür. Das ist doch seine Natur.«
    »Niemand tut ungestraft meinen Hühnern weh«, antworte ich hart.
    Ich lege den ersten Gang ein und rase mit Vollgas auf den Fuchs zu. Jiminy hält sich die Augen zu. Lässig trabt der Fuchs quer durch meinen Garten davon. Jiminy atmet auf.
    Als ich die Orangen auspacke, hat eine davon eine Matschstelle. Die Orangenindustrie besprüht ihre Früchte ja auch nicht aus Jux und Dollerei mit Orthophenylphenol, Thiabendazol und Imazalil. Ich probiere eine nichtmatschige. Sie glänzt nicht ganz so fein,wie vergiftete Orangen das tun, schmeckt aber mindestens genauso gut. Ob sie nun besser schmeckt … – hm, schwer zu sagen.
    In den folgenden Tagen treffen haufenweise Pakete ein. Ich habe mir beim Internet-Antiquariat ZVAB Bücher über Bio-Ernährung und Vegetarismus bestellt. Zwei Fachbücher über vegane Ernährung sind auch schon dabei. Nur zum Stichwort »Frutarismus« hat die Suchmaschine überhaupt keine Treffer angezeigt. Auch nicht, wenn ich »Fructarier«, »Fruitarier« oder »Fruganer« eingegeben habe. Die Ernährungsweise scheint so unbeliebt zu sein, und die wenigen Frutarier scheinen so verstreut und isoliert zu leben, dass noch nicht einmal über eine allgemeingültige Bezeichnung Einigkeit besteht. Zum Stichwort »Kannibalismus« gibt es hingegen 309 Treffer. Offenbar spielen die Leute lieber mit dem Gedanken, ihren Speisezettel zu
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