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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen
Autoren: Karen Duve
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-Orangen, -Tomaten und -Kartoffeln fehlten nirgends. Außerdem gab es fast überall Bio-Aufschnitt. Wurstbrot muss ein ungeheuer beliebtes Nahrungsmittel sein, so wie der Aufschnittesser von der Bio-Branche umgarnt wird. Jiminy meckert natürlich. Ihr ist das alles nicht genug. Außerdem wurde der Plus-Supermarkt in Neuhardenberg, auf den wir einige Hoffnung gesetzt hatten, gerade von einem anderen Konzern geschluckt und heißt seit dem Jahreswechsel plötzlich »Netto«. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Leitung war es, das Bio-Hack aus den Kühltruhen zu entfernen. Das ist besonders für Jiminy bitter. Sie ist Frikadellen-Vegetarierin – an 361 Tagen im Jahr isst sie kein Fleisch, aber bei Gehacktem à la Mutti wird sie schon mal schwach. Deswegenwird Netto von uns jetzt boykottiert. Bei Lidl gibt es nur wenige Bio- und einige Fairtrade-Produkte. Die faire Entlohnung der Arbeiter ist natürlich erfreulich, reicht mir als ethische Mindestanforderung aber nicht. Beim Riesendiscounter Kaufland sieht es schon besser aus. Im Gegensatz zu Rewe und Edeka sind die Bio-Marken hier nicht auf ein einzelnes Regal konzentriert, sondern über die ganze, hektargroße Verkaufsfläche verteilt. Überall dort, wo sich Bio-Lebensmittel befinden, ragen Pappschilder mit dem Bio-Siegel wie kleine Verkehrszeichen in den Raum und leiten das von einer Million Kaufoptionen überforderte Individuum durch ein Meer der Unübersichtlichkeit an die richtige Stelle. Im ersten Moment denkt man, das sind wirklich viele Schilder, hier gibt es wohl alles, was das Bio-Herz begehrt. Aber sowie man bei einem der Siegel angekommen ist, weist es mit schöner Regelmäßigkeit auf das unattraktivste Produkt im ganzen Regal. Entweder handelt es sich um Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis und Nudeln oder um einen abwegigen Genuss wie eingemachte Sojasprossen. Dass bei den Salzsachen gleich mehrere Bio-Zeichen in den Raum ragen, bedeutet noch lange nicht, dass man dort auch nur eine einzige Tüte Bio-Chips findet. Stattdessen gibt es gleich zwei Varianten jener widerlichen Salzbrezeln, die ich schon als Kind verabscheut habe, und Sesamcräcker, die wie zerbrochenes Knäckebrot aussehen. Na toll. Immerhin gibt es aber eine Bio-Putenkeule, Bio-Rohmarzipan, und ich finde bei Kaufland auch endlich einen Bio-Orangensaft. (Bei Rewe vertritt man anscheinend die Auffassung, Bio-Konsumenten würden bloß Apfel-, Gemüse- oder Tomatensaft trinken.) Eine Bio-Cola habe ich allerdings weder hier noch in einem anderen Supermarkt entdeckt.
    »In Berlin, in der Bio-Company, gibt es die garantiert«, lockt Jiminy.
    Ich habe ihr nämlich versprochen, es wenigstens mit einer Bio-Cola zu versuchen, bevor ich wieder auf mein Lieblingsgetränk Coca-Cola light zurückgreife. Ehrlich gesagt, gebe ich dem Versuch keine große Chance. Ich hoffe sehr, dass ich Coke light auch während meiner Bio-Phase weiter trinken darf. Bisher gehe ich davon noch aus. Coca-Cola, so meine Vermutung, besteht doch sowieso fast ausschließlich aus Chemie. Das einzig Natürliche darin ist der Zucker, und selbst der ist im Light-Produkt durch Chemie ersetzt, sodass sich die Bio-Frage gar nicht erst stellt. Oder gibt es irgendwo biologisch-dynamische hergestellte Chemikalien?
    »Cola light ist das Getränk der Dicken«, stänkert Jiminy Grille.
    »Völlig falsch«, sage ich, »Cola light ist das Lieblingsgetränk wahnsinnig gut aussehender und mit nacktem Oberkörper herumlaufender Bauarbeiter, du musst nur mal wieder Werbung kucken.«
    Unter dem Tisch kommt ein lautes Zischen hervor. Freddy hat beide Vorderpfoten in Bullis üppige Gesichtsfalten gekrallt und zerrt sie in verschiedene Himmelsrichtungen, sodass Bulli unfreiwillig Grimassen wie aus einer Peking-Oper schneidet. Er versucht zu kläffen, bringt aber bloß ein paar gehauchte Rachenlaute zustande, weil er keine Stimmbänder mehr hat. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund lassen die Krebszellen in seinem Körper die Atemwege zuschwellen. Sport, Spiel und Gassigehen ist nur noch in homöopathischen Dosen möglich. Bei seiner letzten Operation, der dritten innerhalb von fünf Monaten, wurde ihm alles aus dem Hals geschnitten, was seiner eingeschränkten Luftzufuhr noch im Weg sein könnte – auch die Stimmbänder. Freddy zerrt Bullis Lefzen mit den Krallen zu sich heran, und Bulli versteht das als Aufforderung, auch noch Freddys zweites Ohr zu reinigen.
    Heute fahren Jiminy und ich nach Berlin zur Bio-Company. Wie in der konventionellen
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