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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen
Autoren: Karen Duve
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der viele Schnee kam, ließ ich die Stromer ins Haus. Simbo, ein getigerterFeld-Wald-und-Wiesenkater mit glänzendem Fell und prächtigem Selbstbewusstsein, hätte die Kälte vermutlich überstanden. Aber um Freddy, den ständig haarenden, alten Karthäuser mit dem abgebrochenen Schwanz und den Leckaugen, der auf einem Strohballen in einem offenen Schuppen residierte, machte ich mir ernsthaft Sorgen. Es gibt ja militante Tierschützer, die die Ansicht vertreten, dass Tiere grundsätzlich nur in einen natürlichen Lebensraum gehören. Ich fürchte, die haben nicht die geringste Vorstellung davon, wie sehr das Leben in freier Wildbahn an der Substanz zehrt. Ein Dach über dem Kopf erhöht nicht nur die Lebensqualität, sondern verlängert auch die Lebenserwartung ganz beträchtlich. Haustiere, die nicht für die Schlachtung vorgesehen sind, werden meist sehr viel älter als ihre wild lebenden Verwandten. Das liegt nicht nur daran, dass sie vor Fressfeinden geschützt sind, sondern auch daran, dass das Catering besser ist, sie keine Parasiten haben, medizinisch versorgt werden, weniger durch Revierkämpfe und Todesangst gestresst sind, und dass ihnen die Kälte nicht so entsetzlich zusetzt. Für Menschen gilt das übrigens auch. Wer einen festen Wohnsitz hat, lebt deutlich länger als die 47 Jahre, die die obdachlosen Mitglieder unserer Gesellschaft durchschnittlich erreichen. Simbo und Freddy jedenfalls, vor die Wahl gestellt, die unendliche Freiheit der brandenburgischen Wälder und Wiesen gegen das beengte und überheizte Leben in einem Haus einzutauschen, entschieden sich ohne zu zögern für Katzenklo und Sofa. Die erste Woche schliefen sie fast ununterbrochen durch. Und obwohl sie es jederzeit könnten, weigern sie sich bis jetzt beharrlich, auch nur eine Pfote in den Schnee hinauszusetzen. Bulli ist von der Vergrößerung des Rudels natürlich begeistert und überschüttet beide Kater mit unerwünschten Liebesbeweisen.
    Ich greife zur selbst gemachten Brombeermarmelade meiner Nachbarin.
    »Ich glaube kaum, dass Beate die mit Bio-Zucker eingekocht hat«, bemerkt Jiminy.
    »Na und?«
    »Du hast doch gesagt, dass du von jetzt an nur noch Bio essen willst.«
    Das war ja zu erwarten. Kaum gibt man sich ein bisschen Mühe, schon springt aus irgendeiner Ecke ein Müsli-Fresser und schreit: »Das ist nicht genug! Du hast schon wieder etwas nicht bedacht. Nur ich, ich, ich krieg es auf die Reihe, ein guter Mensch zu sein. Du hingegen wirst ewig eine unverbesserliche Umweltsau bleiben.«
    Ich kontere mit der wahnsinnig guten Klimabilanz dieser Marmelade. »Beates Beeren sind mit dem Mist meines Maultiers gedüngt, den sie sich eigenhändig mit der Schubkarre abgeholt hat. Sie hat die Beeren im Garten gepflückt und vermutlich ohne nennenswerten Benzinverbrauch in ihre Küche getragen, dort eingemacht, diese Portion in ein ausgewaschenes altes Senfglas gefüllt und mir das fertige Produkt über den Gartenzaun gereicht. Willst du ernsthaft behaupten, es wäre besser für die Umwelt, wenn ich mir eine Bio-Marmelade aus China einfliegen lasse, bloß weil die dort den richtigen Zucker verwendet haben?«
    Jiminy erklärt sich bereit, Beates Marmeladen ausnahmsweise zu genehmigen, und ich erkläre mich bereit, Beates Marmeladenproduktion in der nächsten Saison mit Bio-Gelierzucker zu sponsern.
    »Außer mir gibt es sowieso keinen einzigen Menschen in Deutschland, der ausschließlich Bio-Produkte kauft.«
    »Doch«, sagt Jiminy, »Mütter. Wenn Frauen Kinderkriegen, fangen die ja plötzlich an, nur noch Bio-Sachen zu kaufen. Oder wenn jemand Krebs kriegt. Ich kenne zwei Männer, die nach der Krebsdiagnose ihre gesamte Ernährung auf Bio umgestellt haben.«
    Aha. Der durchschnittliche Kunde interessiert sich vielleicht doch nicht so sehr für Klima und Bodenerosion, sondern mehr für den bislang unbewiesenen Gesundheitsaspekt. Das erklärt, warum der Bio-Handel in den letzten Jahren zweistellige Zuwachsraten verzeichnen konnte. Von allen Ernährungsformen mit moralischem Anspruch kommt Bio-Konsum den Eigeninteressen am weitesten entgegen. Gesund soll es sein, und endlich wieder so wie früher schmecken.
    Da ich 70 km von Berlin entfernt lebe und nach Weihnachten so viel Schnee gefallen ist, dass man freiwillig keine größeren Touren unternehmen mag, habe ich bisher nur die Einkaufsmöglichkeiten für Bio-Produkte in den Supermärkten der näheren Umgebung ausprobiert. Sie waren viel besser, als ich gedacht hatte. Bio-Bananen,
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