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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen
Autoren: Karen Duve
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schaden.«
    Er spricht die ganze Zeit von »wir«, als ob er und ich die gleichen Probleme hätten. Dabei besitzt er den perfekten, gewiss sehr aufwendig erarbeiteten Körper eines Cool-Water-Fotomodels, während ich überhaupt nicht so aussehe. Bei der Auswahl meiner Nahrungsmittel habe ich nicht nur die Bedürfnisse anderer Lebewesen missachtet, sondern auch meine eigenen. Es rührt mich, dass ein so gut aussehender Mensch bereit ist, sich mit den weniger Disziplinierten gemeinzumachen. Ich erkläre Dr. Zeisler, dass es mir nicht um meine eigene Gesundheit, sondern um die der Hühner, Schweine und Rinder geht. Nicht um Cholesterinspiegel und dienächste Bikinisaison, sondern um ein Mindestmaß an Anständigkeit. Er möge mir bitte nur alle paar Monate Blut abnehmen, die Laborwerte festhalten und Alarm schlagen, falls sie einmal in einen kritischen Bereich rutschen sollten.
    »Das Alter zwischen fünfundvierzig und fünfundsechzig ist die entscheidende Zeit«, sagt Dr. Zeisler ernst. »Wenn man dann nicht auf seinen Köper achtet, hat man mit über siebzig kaum noch Lebensqualität.«
    Mir ist durchaus bewusst, dass Handlungsbedarf besteht. Eigentlich kann man mich jetzt schon als körperliches Wrack bezeichnen: Übergewicht, Asthma, chronische Achillessehnenentzündung an beiden Füßen, und ständig bin ich müde, müde, müde. Aber ich habe noch einen Abgabetermin für ein Drehbuch, und ohne laufend hochkalorische Kohlehydrate zu essen und literweise Cola light in mich hineinzuschütten, bekomme ich das nie fertig. Mir fällt dann einfach nichts ein. Deswegen habe ich vor, meine Fehlernährung erst einmal mit Bio-Lebensmitteln konsequent fortzusetzen. In ein paar Monaten, spätestens wenn ich Frutarierin geworden bin, wird sich das eine oder andere Problem vielleicht ja von ganz allein lösen.
    Es scheint mein Schicksal zu sein, dass niemand mir meine altruistischen Absichten abnehmen will. Nach dem Motto »Trau keinem erhabenen Motiv, wenn sich nicht auch ein handfesteres finden lässt«, vermutet selbst Jiminy, ich wolle bloß abnehmen.
    »Wird auch Zeit. Endlich kümmerst du dich mal um deinen Körper. Das ging ja nicht mehr so weiter.«
    Sie hilft mir, Inventur im Kühlschrank und in der Speisekammer zu machen. Das gute Aldi-Hühnerfrikassee, Steaklets von Iglo, Seelachsfilet, gefrorener Brokkoli,gefrorener Blumenkohl. Der Blumenkohl liegt da schon ein halbes Jahr. Bis Jahresende muss das alles aufgegessen oder verschenkt sein. Von nun an wird nichts mehr dazugekauft, was nicht Bio ist.
    Jiminy bringt mir aus ihrem Kreuzberger Bio-Supermarkt schon mal Bio-Gewürze, Bio-Zucker und Bio-Salz mit. Ich frage, was Bio-Salz sein sollte? »Kratzt man Salz nicht einfach so aus einem Stollen?«
    »Ursalz«, sagt Jiminy, »da ist keine Rieselhilfe oder so etwas drin.«
    Rieselhilfe im Salz? Und ich habe immer gedacht, dafür tut man ein paar Reiskörner in den Salzstreuer, und gut is. Jiminy hat eine Salzmühle mitgebracht, in die sie jetzt die Salzbrocken füllt. Ich mahle zur Probe über der schwarzen Herdplatte. Die Salzkörner, die aus der Mühle fallen, sind immer noch ganz schön groß.
    »Wenn du im Supermarkt einkaufst, musst du unbedingt darauf achten, dass du nur Ware mit Bio-Siegel nimmst«, sagt Jiminy.
    Bauernschlaue Massentierhalter, die vom Bio-Boom profitieren wollen, ohne die entsprechenden Gegenleistungen zu erbringen, schreiben nämlich einfach »Aus kontrollierter Aufzucht« auf die Plastikfolien ihrer Koteletts und Putensteaks. Das heißt gar nichts – jede Tieraufzucht ist eine kontrollierte Aufzucht –, soll dem Kunden aber suggerieren, er hätte es mit Bio-Fleisch zu tun. Diese Betrügerei im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten ist inzwischen so weit verbreitet, dass viele echte Öko-Anbieter schon wieder auf den Begriff »kontrolliert« verzichten, um nicht in den Verdacht der Augenwischerei zu geraten. Das Bio-Siegel hingegen garantiert ein paar Minimalstandards, etwa, dass die Hühner Auslauf haben müssen.
    Jiminy hat mir noch eine Hautcreme mitgebracht, die wie die von meiner Oma riecht – Weleda Iris.
    »Madonna benutzt dieselbe Marke«, strahlt Jiminy.
    »Das gehört aber nicht dazu«, mache ich vorsichtshalber deutlich. »Ich stell jetzt erst mal bloß meine Ernährung um. Ich muss nicht auch noch Öko-Klamotten tragen und Bio-Cremes benutzen. Jedenfalls nicht, bevor ich Veganerin werde.«
    Als ich am nächsten Morgen in den Garten komme, liegt Betty ohne Kopf auf dem Rasen. Betty
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