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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen
Autoren: Karen Duve
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und monatelang gelitten wird, damit es mir zehn Minuten schmeckt. Aber leider weiß ich jetzt, was Sache ist, und das bedeutet, dass ich nie wieder so werde leben und essen können, wie ich es vorher getan habe.
    Das heißt, rein theoretisch könnte ich natürlich mit kalter Gleichgültigkeit schnurgerade durch die Welt gehen und Koteletts essen, als gäbe es keine Tiere, aus denen sie herausgeschnitten wurden. Ich könnte mich dafür entscheiden, einfach nicht mehr daran zu denken, und nach ein paar Monaten – ach, was sag ich, vermutlich schon nach ein paar Wochen – würde das auch tadellos funktionieren. Einfach doof stellen, und mein Leben ist wieder unkompliziert. Aber vielleicht ist gerade das Leid, das ich selbst verursache, das einzige, das zu verhindern ich jemals imstande sein werde. Vielleicht kommt es viel weniger darauf an, was ich tue, als auf das, was ich lasse.
    Ich fange am besten mal mit den einfachen Vorsätzen an. Natürlich werde ich weiterhin Bio-Lebensmittel essen. Wegen der Grundanständigkeit, mit der man bei vielen Bio-Erzeugern rechnen darf, und wegen der guten Qualität. Das ist also mein erster Vorsatz:
    1.) Wann immer es irgend möglich ist, erledige ich meine Einkäufe in Bio-Läden.
    Auf Regionalität und darauf, die Früchte nach der Saison zu kaufen, achte ich natürlich auch. Was mir im Bio-Laden allerdings nicht schmeckt – z. B. Cola und Lakritze –, kaufe ich woanders.
    Mein zweiter Vorsatz lautet:
    2.) Ich esse kein Fleisch aus Massentierhaltung mehr.
    … auch nicht, wenn ich in ein Restaurant eingeladen werde, auch nicht, wenn Mama sich unheimlich viel Mühe gegeben und extra mein Lieblingsgericht gekocht hat, und auch nicht, wenn ich frisch verliebt bin und mir jemand seine Kochkünste vorführen will.
    Irgendwo muss Schluss sein. Dass Tiere durch zutiefst grausame Haltungsbedingungen gequält und auf barbarische Weise getötet werden, damit ich schön billig Fleisch und Wurst essen kann, ist nicht hinnehmbar. Ein Verbrechen bleibt auch dann ein Verbrechen, wenn alle es tun.
    Allerdings kann ich auch nicht das Fleisch von glücklichen Tieren essen. Es gibt nämlich kein Fleisch von glücklichen Tieren. Bloß von toten. Und wenn mir bis jetzt immer noch keine guten Argumente für das Fleischessen eingefallen sind, dann liegt das möglicherweise daran, dass es keine gibt. Milch von glücklichen Kühen ist ebenfalls schwer vorstellbar. Es macht Kühe nun einmal nicht glücklich, wenn man ihnen die Kälber wegnimmt.
    Eine ethisch konsequente Haltung beginnt erst beim Veganismus. Die Sache mit den Bienen sehe ich zwar anders, und was Schafwolle und Jagd betrifft, bin ich mir unschlüssig, ob ich allen Argumenten der Veganer folgen will, aber das hilft mir auch nicht richtig weiter. Ich fände es nämlich viel einfacher, auf Bienenhonig und kratzige Wollpullover zu verzichten, als auf Milchprodukte. Ehrlich gesagt, habe ich nicht besonders viel Lust, vegan zu leben, von frutarisch mal ganz zu schweigen. Ich fürchte, ich kann das nicht. Ich kann nicht, heißt in Wirklichkeit natürlich bloß: Ich will nicht. Sagen wir so: Ich kann nicht wollen. Wie es aussieht, habe ich jetzt genau drei Möglichkeiten, mich zu entscheiden:

    A.) Ich entspreche dem, was ich für den ethisch konsequenten und richtigen Weg halte, lebe fortan vegan und habe für den Rest meines Lebens wahnsinnig schlechte Laune und das Gefühl, ständig verzichten zu müssen. Aber wenigstens werden meinetwegen keine Tiere gequält.
    B.) Ich belüge mich selbst und suche mir einen Vorwand, warum es eigentlich doch okay ist, hin und wieder mal ein Stück Bio-Käse oder Bio-Fleisch zu essen. Veganer tue ich als fanatische Spinner ab, und mich selbst betrachte ich als lebenslustigen Genussmenschen, der auch mal fünfe grade sein lassen kann.
    C.) Ich gestehe mir ein, dass die Moral in meinem Leben nicht so einen hohen Stellenwert besitzt, wie ich mir das immer eingebildet habe. Gleichzeitig versuche ich, die Schäden, die ich anrichte, so gering wie möglich zu halten.
    Ich nehme … äh … C.
    Es geht mir ja gar nicht darum, jeden Tag Fleisch zu essen und ständig Joghurts in mich hineinzuschaufeln, aber ich möchte auch mal ein Stück Schokolade essen können, und ich habe keine Lust mehr, in Bäckereien zu fragen, ob die Bleche, auf denen die Brötchen gebacken worden sind, mit Butter eingefettet wurden. Und ich möchte auch keine größeren Summen darauf wetten, dass ich im nächsten Jahr nicht doch irgendwann
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