Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Autoren: Harald Martenstein
Vom Netzwerk:
Polizeiautos sehe, immer ein schlechtes Gewissen bekomme. Ich denke dann sofort: »Mache ich alles richtig? Falle ich denen auf? Die merken doch garantiert, was ich für einer bin.« Mir schießen blitzartig all die Dinge in den Kopf, die ich im Straßenverkehr jemals falsch gemacht habe, ich will es in diesem Augenblick garantiert richtig machen – und genau deswegen falle ich auf.
    Ich habe zu viel Respekt vor denen, zu viele Skrupel. Die richtig üblen Typen kriegen sie nie, sage ich mir, obwohl ich in Wirklichkeit vielleicht einer von den richtig üblen Typen bin. Man selber ist ja oft der Letzte, der es mitbekommt.
    Wenn ich getrunken habe, fahre ich offenbar so, wie es sich gehört. Immer, wenn mal wieder ein prominenter Übeltäter bei irgendwas erwischt wird, muss ich daran denken, bei wie vielen Dingen ich nicht erwischt worden bin und bei wie vielen Dingen all die anderen nicht erwischt worden sind, denn es kann einfach nicht sein, dass all die anderen, von denen man nichts weiß, sich immer bei allem okay verhalten. Vielleicht hat die erwischte Person es nur ein einziges Mal getan? Oder hundertmal? Und ein anderer Prominenter hat es tausendmal getan, nur, er wird nie erwischt?
    Erwischt zu werden hat, so gesehen, nicht viel zu bedeuten.

Über Maxim Biller
    Ich war, als Autor, nach Südtirol eingeladen. Ich befürchtete, dass die Südtiroler Menschen meine Texte womöglich nicht verstehen. Ich vermute, dass ich ein sehr deutscher Autor bin. Die Sorge war unbegründet. Offenbar bin ich gar nicht so deutsch.
    Daraufhin habe ich überlegt, welcher zeitgenössische Autor der deutscheste ist, erzdeutsch wie Hoffmann von Fallersleben oder Otto Waalkes. Da fiel mir Maxim Biller ein. Dieser Autor lässt in jedem seiner Zeitungstexte durchblicken, wie schrecklich Deutschland ist, wie furchtbar die Deutschen sind, wie sehr er unter seinem Leben in Deutschland leidet.
    Er hat die typisch deutsche Identitätskrise. Ich weiß nicht, ob das stimmt, vielleicht ist es bei ihm nur eine literarische Idee, ein Bild, um seine Identitätskrise besser auszudrücken. Kürzlich schrieb er zum Beispiel, er sei kein Deutscher.
    Nun, wie immer er sich nennen mag, er schreibt auf Deutsch, wohnt in Deutschland, hat hier den größten Teil seines Lebens verbracht, arbeitet hier und zahlt hier vermutlich Steuern. Ich glaube, Maxim Biller ist ein ähnlicher Fall wie Cat Stevens, er kann sich tausendmal Yusuf Islam nennen, im Grunde bleibt er immer Cat Stevens.
    Sehr viele Deutsche haben das gleiche Problem wie ihr Landsmann Maxim Biller, sie können sich mit ihrem Deutschsein nicht anfreunden. Sie hassen das, was an der deutschen Geschichte hassenswert ist, und den ganzen Rest hassen sie der Einfachheit halber gleich mit, einschließlich ihrer selbst. Also verfassen sie antideutsche Pamphlete, erklären, alles Deutsche sei schlecht, die Deutschen seien zum Beispiel als Rasse rassistisch, eine absurde, unfreiwillig komische Haltung, mit der man sich das Leben schwermacht und wodurch man aggressiv wird, ohne dass es zu etwas gut wäre. Wenn es zu etwas gut wäre, Deutschland zu hassen, wäre ich natürlich sofort dabei.
    Vor einiger Zeit las ich in der Frankfurter Allgemeinen einen Text, in dem Maxim Biller ausgerechnet dem lieben Franz Müntefering schwerste Menschenfeindlichkeit vorgeworfen hat, und zwar, weil Müntefering Spekulanten mit Heuschrecken verglichen hat. In demselben Text hat Biller Angela Merkel wegen ihrer DDR -Vergangenheit mit Stalin verglichen. Ich finde Heuschrecken eigentlich viel sympathischer als Stalin, schon wegen des Zirpens. Einige Heuschreckenarten stehen in Deutschland sogar unter Schutz, was man von Stalin zum Glück nicht behaupten kann.
    In Südtirol würde man, vermute ich, überhaupt nicht begreifen, was Maxim Biller überhaupt will. Er ist zu deutsch mit seinem Deutschenhass, diesem Einschlagen auf alles und jeden, Münte oder Merkel, alles eine Soße, das ist leider wirklich typisch, das ist eine der Schattenseiten unserer Nation. »Alles Scheiße«, ein deutscher Lieblingssatz. Die Menschen in Südtirol sprechen zwar Deutsch, aber sie haben nicht diese Art von Problem.
    Klar, Maxim Biller sorgt dafür, dass alle, die wegen ihres Deutschseins Schuldgefühle haben oder ein schlechtes Gewissen, sich besser fühlen. Sie müssen sich nicht wirklich mit diesem Land auseinandersetzen, sondern sagen einfach: Ich gehöre nicht dazu. Alles Scheiße. Maxim Biller schreibt, obwohl er das vermutlich nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher