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Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte

Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte

Titel: Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
Autoren: S G Browne
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verströmt.
    Mein Vater liegt, Kopf und Oberkörper im Küchenschrank, auf dem Rücken unter der Spüle. Der Boden um ihn herum ist mit mehreren Schraubenschlüsseln, Schraubenziehern, einer Dose Rostlöser und verschiedenen anderen Werkzeugen übersät. Und auf der Arbeitsfläche neben der Spüle steht ein nagelneuer Müllzerkleinerer.
    »Harry«, sagt meine Mutter, »Andy ist hier, um dir zu helfen.«
    »Verdammt, ich brauche keine Hilfe«, sagt er, während er krampfhaft versucht, am alten Zerkleinerer eine Schraube zu lösen.
    »Ach, Blödsinn«, sagt meine Mutter. »Du liegst jetzt schon seit einer Stunde unter der Spüle. Natürlich brauchst du Hilfe.«
    Mein Vater könnte einen Klempner rufen, und wahrscheinlich wäre der Zerkleinerer dann in weniger als einer Stunde installiert. Stattdessen verbringt er drei Stunden damit, leblose Objekte zu beschimpfen, während er immer frustrierter wird, nur um hundertzwanzig Dollar zu sparen. Schließlich ist er so was wie ein Experte.
    »Lois«, sagt mein Vater und macht sich erneut an die Schraube. »Ich sag’s jetzt zum letzten Mal. Ich … brauche … keine … Hilfe.«
    Er rutscht mit dem Schraubenschlüssel ab, und seine Hand knallt gegen etwas Hartes, Metallenes.
    Mein Vater kommt unter der Spüle hervorgekrochen; er hält sich die rechte Hand und lässt ein paar Obszönitäten vom Stapel, die mich erröten lassen würden, wenn noch Blut durch meine Wangen fließen würde. Er stürmt aus der Küche und achtet darauf, einen weiten Bogen um mich zu machen und die Luft anzuhalten, während er jeden Augenkontakt vermeidet.
    »Beachte ihn gar nicht«, sagt meine Mutter und tritt an den Ofen, als die Zeitschaltuhr klingelt. »Er ist mal wieder schlecht gelaunt.«
    Seit meiner Rückkehr hat mein Vater ständig schlechte Laune.
    Meine Mutter zieht ein Blech mit Zimtröllchen aus dem Ofen und stellt es auf der Arbeitsplatte ab, dann nimmt sie ein Messer und bestreicht die Röllchen mit einer Fertigglasur.

    Es gibt eine Menge Dinge, die ich aus meinem früheren Leben vermisse:
    Mit Rachel ins Kino zu gehen.
    Annie beim Fußballspielen zuzuschauen.
    Am Strand vorm Lagerfeuer zu sitzen, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, ob jemand versucht, mich reinzuwerfen.
    Und manchmal vermisse ich das Essen.
    Es ist nicht so, dass ich nichts mehr zu mir nehme. Ich bin ständig am Essen. Doch einer der größten Nachteile am Zombiedasein, abgesehen vom Verwesungsprozess, der Aberkennung der Bürgerrechte und den Kindern, die bei deinem Anblick laut aufschreien, ist die Tatsache, dass das Essen so gut wie keinen Geschmack hat. Alles schmeckt ungewürzt, ungezuckert, verwässert. Selbst den Wein, den ich trinke, kann ich nicht genießen. Und ich werde davon auch nicht betrunken. Dafür braucht man einen funktionierenden Blutkreislauf. Darum esse ich das meiste aus Gewohnheit und Langeweile, ohne echten Genuss und richtige Erinnerung daran, wie es schmecken müsste.
    Doch als ich sehe, wie meine Mutter die Zimtröllchen mit Zuckerguss bestreicht, werde ich von einem Gefühl der Nostalgie ergriffen. Als hätte man dreißig Jahre einfach fortgewischt, sitze ich wieder am Frühstückstisch und lasse meine nur mit Socken bedeckten Füße über dem Boden baumeln, einen Becher mit dampfendem Kakao vor mir, während ich ungeduldig darauf warte, dass meine Mutter die Zimtröllchen fertig glasiert hat.
    Ich möchte meiner Mutter sagen, dass ich sie liebhabe, aber ich kann nicht. Ich möchte sie in den Arm nehmen, doch ich tue es nicht, denn ich habe Angst, sie könnte schreien. Oder mich erneut mit Duftspray besprühen.

    Manchmal, wenn ich daran denke, was meine Eltern meinetwegen alles durchmachen mussten, packt mich das schlechte Gewissen, aber ich habe es ja nicht mit Absicht getan. Dennoch bin ich dankbar dafür, was sie für mich auf sich genommen und aufgegeben haben. Sie hätten mich ja auch bei der SPCA lassen können. Das beweist wohl, dass man nie aufhört, Eltern zu sein, selbst wenn der eigene Sohn von den Toten zurückkehrt.
    »Bitte schön, mein Schatz.« Meine Mutter reicht mir einen Teller mit einem heißen, dampfenden, frisch glasierten Zimtröllchen. Ich lächle und will mich an den Küchentisch setzen.
    »Oh, Andy, könntest du damit nach unten gehen?«, sagt sie. »Wir bekommen noch Besuch.«

KAPITEL 5
    Zweimal im Monat besuche ich einen Therapeuten. Er heißt Ted. Er und Helen haben früher mal zusammengearbeitet, darum glaubt er, dass er ihr damit einen
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