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Anne in Windy Willows

Titel: Anne in Windy Willows
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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eines der drei Gesellschaftszimmer und verbrachten den ganzen Abend vor einem gewaltigen, aber gemütlichen Feuer. Anne beschäftigte sich mit einer komplizierten Häkelarbeit, während Miss Minerva eine Decke fertig stickte und dabei einen weiteren Monolog über die aufregende Chronik der Tomgallons hielt. »David Tomgallon«, so berichtete sie, »versprach seiner eifersüchtigen, im Sterben liegenden Frau, nie wieder zu heiraten. Er brach sein Versprechen und wurde seitdem vom Geist seiner verstorbenen Frau verfolgt. Er hatte die Angewohnheit, ständig hinter sich zu blicken. Alle hatten Angst, mit ihm in einem Raum zu sein, denn niemand außer ihm konnte seine Frau sehen. Vielleicht war es nur sein Gewissen. Glauben Sie an Geister, meine Liebe?«
    »Ich -«
    »Im Nordflügel haben wir einen richtigen Geist. Meine Großtante Ethel, ein bezauberndes junges Mädchen. Sie starb in der Blüte ihres Lebens, kurz vor der Hochzeit. Das ist wirklich ein Haus voller tragischer Erinnerungen, meine Liebe.«
    »Miss Tomgallon, ist denn hier niemals etwas Erfreuliches passiert?«, fragte Anne. Sie nutzte die Gelegenheit, während Miss Minerva sich die Nase putzte, und brachte wahrhaftig einen ganzen Satz zu Stande.
    »Doch, ich denke schon«, sagte Miss Minerva, als ob sie das nur ungern zugab. »Ja, es gab fröhliche Zeiten, als ich klein war. Ich habe gehört, Sie schreiben ein Buch über jeden Einwohner von Summerside, meine Liebe.«
    »Nein, das stimmt nicht. Kein Wort davon ist wahr«, wehrte Anne ab.
    »Oh!«, sagte Miss Minerva sichtlich enttäuscht. »Nun, falls Sie doch einmal ein Buch schreiben sollten, dürfen Sie so viel über uns schreiben, wie Sie wollen, vielleicht mit geänderten Namen. Und nun, was halten Sie von einer Partie Pachisi?«
    »Ich fürchte, es ist Zeit für mich zu gehen«, meinte Anne und wollte aufstehen.
    »Aber meine Liebe, Sie können heute Abend unmöglich nach Hause gehen. Es gießt und stürmt draußen. Sie müssen heute Nacht mein Gast sein.«
    Anne verspürte nicht gerade große Lust, eine Nacht im Haus der Tomgallons zu verbringen, aber genauso wenig reizte sie der Heimweg im Sturm. Also spielten sie ihre Partie Pachisi -worüber Miss Minerva vor lauter Begeisterung endlich ihre Schauergeschichten vergaß.
    Nach einem Imbiss mit Zimttoast und Kakao führte Miss Minerva Anne in ein Gästezimmer. Anne atmete auf, als sie feststellte, dass es nicht jenes Zimmer war, in dem Miss Minervas Schwester einen Schlaganfall erlitten hatte.
    »Dies hier ist Tante Annabellas Zimmer«, erklärte Miss Minerva stattdessen und zündete die Kerze in dem silbernen Kerzenleuchter an. »Ich hoffe, Sie werden sich wohl fühlen, meine Liebe. Mary hat das Bett und das Nachthemd hier gelüftet« - sie zeigt auf ein weites Gewand, das über einem Stuhl hing und streng nach Mottenkugeln roch. »Ich hoffe, es passt Ihnen. Seit meine arme Mutter darin starb, wurde es nicht mehr getragen. Oh, das hätte ich beinah vergessen«
    - Miss Minerva drehte sich zur Tür um - »Tante Annabella erhängte sich in diesem Wandschrank. Sie litt unter Depressionen. Ich hoffe, Sie schlafen gut, meine Liebe.« Damit verschwand sie.
    Anne wusste nicht, ob sie überhaupt würde schlafen können.
    Es kam ihr vor, als sei etwas Unheimliches und Feindseliges im Zimmer. Dies war wirklich ein schreckliches altes Haus, voll von düsteren Taten, die nie ans Licht gekommen waren und immer noch in den Ecken moderten, in den Fichten vor dem Fenster jammerte der Wind. Einen Augenblick lang hatte Anne das Gefühl, weglaufen zu müssen, egal, ob es stürmte oder nicht.
    Aber dann riss sie sich zusammen und sagte sich, wenn so viele tragische Dinge hier passiert waren, dann mussten auch erfreuliche Dinge geschehen sein. Sie stellte sich frohe, ausgelassene Mädchen vor, die hier tanzten und untereinander Geheimnisse austauschten; knuddelige Babys, die hier geboren wurden; Hochzeiten, Bälle, Musik und Heiterkeit.
    Anne bürstete ihr Haar unter Annabella Tomgallons stolzem Blick und fühlte sich ziemlich unbehaglich, als sie in den Spiegel sah. Wer weiß, was für Gesichter da plötzlich neben ihr auftauchen konnten? Als Anne mutig den Wandschrank öffnete, um ihr Kleid aufzuhängen, machte sie sich auf einen Schwarm Skelette gefasst, die ihr im nächsten Moment entgegenfallen würden. Aber er war leer. Dann setzte sie sich auf einen harten Stuhl, um ihre Schuhe auszuziehen. Sie zog das Nachthemd an, blies die Kerzen aus und schlüpfte ins Bett. Der
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