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Anne in Windy Willows

Titel: Anne in Windy Willows
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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»das Kind« genannt zu werden. Aber als Elizabeth es einmal wagte, ihre Großmutter darauf anzusprechen, wurde diese böse und bestrafte sie für ihre Unverschämtheit.
    Elizabeth hasste das ganze düstere, steife Evergreens, wo es nichts Vertrautes gab, obwohl sie ihr ganzes Leben hier verbracht hatte. Als Miss Shirley nach Windy Willows kam, war plötzlich alles anders geworden. Seitdem lebte Elizabeth in einer Märchenwelt, wo sie auch hinsah, alles war auf einmal schön. Die kurzen Spaziergänge auf ihrem geheimen Weg zum Hafen, die ihr nur allzu selten erlaubt wurden, waren die Höhepunkte ihres traurigen Daseins. Sie liebte alles, was sie unterwegs sah; den rot-weiß gestreiften Leuchtturm draußen auf See, das Ufer in der Ferne, die kleinen silberblauen Wellen und die glühenden Sonnenuntergänge! Jeden Abend lief Elizabeth hinauf in die Mansarde, um vom Fenster aus die Sonnenuntergänge zu beobachten und die Schiffe, die im Schein des aufgehenden Mondes vorbeizogen. Die Schiffe, die nie zurückkehrten, landeten bestimmt im Hafen von »Morgen«.
    Auch der Geheimweg führte weiter und immer weiter und Elizabeth konnte es kaum erwarten, ihm einmal bis ans Ende zu folgen. Wenn »Morgen« da war, dann würde sie herausfinden, wohin er führte. Vielleicht würde sie eine Insel entdecken, auf der nur sie und Miss Shirley leben würden, unerreichbar für Großmutter und die Frau. Elizabeth machte sich einen Spaß daraus, sich vorzustellen, wie sie auf ihrer Insel stand und die beiden auslachte, während diese ihr vom Festland her böse Blicke zuwarfen, ohne ihr etwas anhaben zu können.
    Dann, an einem Abend Ende Juni, geschah das Erstaunliche. Anne fragte Mrs Campbell, ob Elizabeth sie am nächsten Tag zur Insel Flying Cloud hinüberbegleiten dürfe. Sie wolle dort einer gewissen Mrs Thompson eine Einladung überbringen. Großmutter stimmte - wenn auch widerwillig - zu. Elizabeth konnte es kaum fassen.
    »Wenn ich meinen Auftrag auf Flying Cloud erledigt habe, gehen wir hinunter zur Hafenmündung«, flüsterte Anne ihr zu. Elizabeth war ganz aufgeregt, als sie zu Bett ging.
    Endlich würde sie dem Geheimnis des Hafenweges auf die Spur kommen! Vor dem Einschlafen holte sie aus einer Schublade ein sorgfältig aufbewahrtes Bild hervor. Es war ein Foto, das sie aus einer Sonderausgabe des Wochenkuriers ausgeschnitten hatte; es zeigt Anne mit dem Lehrerkollegium der High-School.
    »Gute Nacht, liebe Miss Shirley«, sagte sie leise und küsste das Bild. Dann legte sie es in sein Versteck zurück, kletterte ins Bett und kuschelte sich in ihre Kissen.
    Es war ein wundervoller Nachmittag, als sie zusammen aufbrachen. Die kleine Elizabeth hatte das Gefühl, als lösten sich plötzlich unsichtbare Ketten von ihr, als sie das düstere Haus verließ. Sie atmete Freiheit, und auch der düstere Blick, den die Frau ihr durch das rote Glas der Hintertür nachwarf, konnte sie daran nicht hindern. Was für ein himmlisches Gefühl, mit Miss Shirley durch diese wunderbare Welt zu wandern! Was würde sie bloß tun, wenn sie nicht mehr da war? Aber Elizabeth schob diesen Gedanken weit von sich; sie wollte sich nicht den Tag verderben. Vielleicht - ganz vielleicht - würden sie und Miss Shirley heute Nachmittag »Morgen« erreichen, und dann könnte sie nichts mehr trennen. Sie würden einfach immer weiter gehen. Jede Wegbiegung brachte eine neue Überraschung. Sie kamen an den Feldern voller Butterblumen und Klee vorbei, in denen die Bienen summten, sie streiften durch Gänseblümchenbeete und atmeten den sanften Wind. Weit draußen plätscherten die silbernen Wellen. Und ein Matrose mit goldenen Ohrringen lächelte ihnen im Vorbeigehen zu. So freundlich würden alle Menschen sein, die man »Morgen« treffen würde.
    »Wir müssen zu der Insel dort hinüber; das ist Flying Cloud«, holte Anne sie aus ihren Gedanken.
    Flying Cloud war eine längliche kleine Insel, ungefähr eine Viertelmeile von der Küste entfernt. Es gab dort Bäume und ein Haus. Elizabeth hatte schon immer von einer eigenen Insel mit einer kleinen silbernen Bucht geträumt.
    »Wie kommen wir da hinüber?«, fragte Elizabeth, als sie am Strand angelangt waren.
    »Wir rudern von dieser Sandbank aus«, sagte Anne, während sie ein kleines Boot losband, das an einem schräg stehenden Baum befestigt war. Dann ruderten sie los.
    Flying Cloud war eine faszinierende Insel. Alles konnte hier geschehen. Jetzt war »Morgen« gekommen! Eine solche Insel konnte es einfach nur
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