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Anne in Windy Willows

Titel: Anne in Windy Willows
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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ein, und als sie sie freilassen wollte, war sie - tot. Als ihr eigenes Kind dann verschwand, behaupteten die Leute, das sei die Strafe für ihre Grausamkeit. Aber ich glaube, es war nur unser Fluch.«
    »Wer hat -«Anne kam einfach nicht über zwei Worte hinaus. »Soll ich Sie vor dem Essen durchs Haus führen, meine Liebe?«, fragte Miss Minerva rücksichtslos. »Es war früher der Stolz von ganz Summerside. Heutzutage ist wahrscheinlich alles daran altmodisch, aber einige Dinge sind vielleicht doch noch interessant. Das Schwert, das dort über der Treppe hängt, gehörte meinem Ururgroßvater, der als Offizier der britischen Armee aufPrince Edward Island stationiert war. Er selbst hat nie in diesem Haus gewohnt, aber meine Ururgroßmutter lebte ein paar Wochen hier. Sie lebte jedoch nicht mehr lange, nachdem ihr Sohn auf so tragische Weise ums Leben gekommen war. Es war ihr Jüngster, mein Großonkel James. Er erschoss sich im Keller und sie kam darüber nicht hinweg.«
    Unbarmherzig schleppte Miss Minerva Anne durch das ganze Haus, in all die großartigen Räume, und tischte eine schreckliche Geschichte nach der anderen auf.
    »Dies hier sind Onkel Ronald und Onkel Reuben«, sagte sie beispielsweise und zeigte auf zwei Persönlichkeiten, deren Bildnisse einander gegenüberhingen. Sie warfen sich finstere Blicke zu - so sah es jedenfalls aus. »Sie waren Zwillinge, aber sie hassten einander von Geburt an. Ihre Streitereien waren im ganzen Haus zu hören. Und als sie einmal während eines Gewitters in diesem Zimmer hier aufeinander losgingen, wurde Reuben vom Blitz erschlagen. Ronald ist nie darüber hinweggekommen. Er war seit diesem Tag vom Pech verfolgt. Seine Frau«, fügte Miss Minerva nachdenklich hinzu, »seine Frau verschluckte ihren Ehering.«
    »Tatsächlich!«, bemerkte Anne schwach, die von der Familiensage schon ganz erledigt war.
    »Ja, der Ring tauchte nie wieder auf, obwohl ein Brechmittel wahrscheinlich ... Ohne ihren Ring kam sie sich so unverheiratet vor. Ja, das war meine Tante Emilia; sie war natürlich nicht meine richtige Tante. Sie vergiftete ihren Mann mit einem Pilzgericht. Wir taten, als sei es ein Unfall gewesen; niemand gibt gern einen Mord in der Familie zu. Dies hier ist das Zimmer, in dem mein armer Bruder Arthur sich mit seiner Braut zankte, kaum, dass sie geheiratet hatten. Sie ging einfach hinaus und kam nie wieder zurück. Mein Bruder kam nie darüber hinweg. Er wurde Handlungsreisender. Kein Tomgallon war je Handlungsreisender gewesen ... Dies hier ist der Tanzsaal. Er wirdjetzt nicht mehr benutzt, aber früher hatten wir unzählige Bälle und wir waren berühmt dafür. Von der ganzen Insel kamen Gäste zu uns. Meine Großtante Patience fiel beim Tanzen tot um - genau da drüben in der Ecke. Sie hatte zu großen Liebeskummer. Ich verstehe die Mädchen nicht, die einem Mann nachtrauern.« Miss Minerva starrte auf die Fotografie ihres Vaters, der durch seine borstigen Koteletten und seine Hakennase auffiel, und fuhr fort: »Ich finde, Männer sind so triviale Kreaturen. Eines Tages, als Großvater und Großmutter nicht zu Hause waren, gab die Familie einen Ball, bis spät in die Nacht, und dann« - Miss Minerva sprach plötzlich in so düsteremTon, dass Anne das Blut in den Adern gefror - »und dann erschien Satan. Man sieht heute noch das Mal auf dem Fußboden, wie ein eingebrannter Fußabdruck. Aber die Geschichte glaube ich natürlich nicht.«
    Miss Minerva seufzte erneut, als ob sie am liebsten doch an die Geschichte geglaubt hätte.

Kapitel 11
    Das Dinner wurde im Speisesaal serviert, der ebenso prächtig ausgestattet war wie alle anderen Säle. Das Essen war herrlich und so reichlich, dass Anne mit ihrem großen Appetit ordentlich zulangte. Miss Minerva schwieg für eine Weile und auch Anne wagte nicht, etwas zu sagen, aus Angst, sie könnte damit eine weitere Lawine von Tragödien ins Rollen bringen. »Bitte, nehmen Sie doch noch von den Pfirsichen, meine Liebe, Sie haben ja überhaupt nichts gegessen«, forderte ihre Gastgeberin sie auf.
    »Oh, Miss Tomgallon, es hat wunderbar -« zu spät!
    »Ein reich gedeckter Tisch ist Tradition in unserem Haus«, bemerkte Miss Minerva selbstgefällig. »Nie hat sich mein Vater so wenig über einen Besuch gefreut, als wenn seine Schwester Mary kam; sie hatte überhaupt keinen Appetit. Sie schnitt bloß immer von allem ein Stückchen ab und probierte. Er sah das als persönliche Beleidigung an.«
    Nach dem Essen begaben sie sich in
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