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Anne Frasier

Anne Frasier

Titel: Anne Frasier
Autoren: Marinchen
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auf die Knie, seine Hände zitterten. Ethans Augen waren geöffnet, er sah ihn an. Max entfernte das Klebeband von seinem Mund. Kaum war sein Mund frei, begann Ethan zu schluchzen.
    »Hier...«
    Ein Polizist reichte Max ein aufgeklapptes Taschenmesser. Max durchschnitt die Fesseln an Ethans Handgelenken und Knöcheln, dann setzte er sich auf den Boden und nahm seinen Sohn in die Arme, er hielt ihn fest, er küsste sein blutverklebtes Haar; wiegte ihn, weinte.
    Jemand musste ihr den Kopf aus den Händen genommen haben. Ivy nahm vage wahr, dass Abraham da war, dass man ihr einen Druckverband um den Arm anlegte, dass zwei Sanitäter sie auf eine Liege packten.
    Ich bin nicht tot, glaubte sie zu flüstern, aber sie schienen es nicht zu hören. Vielleicht waren die Worte nur unausgesprochene Gedanken. Würden sie sie in einen Leichensack stecken? Aus irgendeinem Grunde hatte sie keine Angst davor.
    Draußen blitzten Kameras, und Reporter riefen Fragen, hielten ihr Mikrofone vor das Gesicht. Und dann fuhr man sie davon, die Sirenen faulten, der Krankenwagen wiegte sie in den Schlaf.

42
    Die Story von Claudia Reynolds, die zu Ivy Dunlap geworden war, überflutete die Zeitungskioske, und Ivy wurde über Nacht zum Star. Leute, die sie nicht einmal kannte, schickten ihr Blumen ins Krankenhaus. Reporter gaben sich als entfernte Verwandte aus, um sich an sie heranzuschleichen. Jede Fernseh-Talkshow wollte sie haben, und zwei Verlage hatten bereits nach ihrer Autobiografie gefragt.
    Sie war beinahe verblutet. Als der Krankenwagen das Blessings Hospital erreicht hatte, war ihr Blutdruck praktisch bei Null gewesen. Sie brauchten zwei Liter Blut, um sie wieder auf die Beine zu bekommen. Ein Spezialist arbeitete an ihrem Handgelenk und ihrer Hand, während ein anderer sich die übrigen Verletzungen vornahm - drei Wunden, die unglaublicherweise alle wichtigen Organe verfehlt hatten. Es fanden sich fünf oberflächliche Schnitte an ihren Armen, die mit insgesamt zweiundzwanzig Stichen genäht werden mussten. Wäre Ivy bei Bewusstsein gewesen, hätte sie auf dreiundzwanzig oder einundzwanzig bestanden. Zweiundzwanzig erlaubten dem Madonna-Mörder einen letzten Sieg.
    Abraham kam sie besuchen, und er hatte einen Vorschlag: Er wollte, dass sie blieb und für das Chicago Police Department arbeitete.
    »Wir haben noch nicht entschieden, was deine genaue Position sein könnte«, erklärte Abraham. »Das läge bei dir. Du könntest als kriminalpsychologische Expertin zur Mordkommission gehen. Oder wenn du das als zu eingegrenzt empfindest, könnten wir dich als Sachverständige auf freiberuflicher Basis engagieren. Wir sind da flexibel.«
    Zwei Minuten zuvor hatte sie auf den Knopf gedrückt, der
    ihre Morphiumpumpe startete. Jetzt konnte sie nur daliegen und seinem Geplapper lauschen.
    »Übrigens, Max bleibt doch«, setzte Abraham hinzu.
    Das überraschte sie nicht. Sie hatte ihn sich nirgends anders vorstellen können.
    »Natürlich sorgt er sich um Ethans Sicherheit, deswegen wird Max, bis Ethan älter ist, eher im administrativen Bereich arbeiten, aber seine Position als Leiter der Mordkommission behalten. Ich denke, das kriegen wir geregelt.«
    »Das ist gut«, sagte sie und hatte Mühe, die Augen offen zu halten.
    »Ich lasse dich jetzt in Ruhe«, sagte Abraham, der sah, dass sie Mühe hatte, wach zu bleiben. »Aber überleg dir, ob du bleiben willst, ja?«
    Sie nickte.
    Am dritten Tag im Krankenhaus zog man ihr die Braunüle aus dem Handrücken und schnitt ihren Nachschub an Morphium ab. Im Rollstuhl fuhr man sie in einen Besuchsbereich mit einem großen Fenster, durch das sie ein Stückchen vom Michigansee in der Ferne erahnen konnte, und vielleicht ein paar Segelboote, wenn sie Glück hatte.
    Dorthin kam Max, sie saß in einem Rollstuhl und starrte zum Fenster hinaus. Sie fragte sofort nach Ethan.
    »Immer noch durcheinander, aber froh, am Leben zu sein«, sagte Max und setzte sich auf einen der vinylbezogenen Sessel.
    Ivy wusste, dass Ethan eine Nacht im Krankenhaus verbracht hatte, dann war er nach Hause geschickt worden.
    Wie lange würde es dauern, bis er sich erholt hatte, bis er vergaß und wieder als Teenager leben konnte?
    Ivy wusste leider, dass das nie passieren würde. Er war, wie so viele andere, mit einem Wahnsinnigen in Kontakt gekommen, und diese Berührungen hinterließen Eindrücke, die niemals, niemals ganz verschwanden. Ethan würde nach Hause
    zurückkehren und feststellen, dass er die Sorglosigkeit eingebüßt
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