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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Autoren: Jane Austen
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Geschmack verdammen muß – deren Los die Lächerlichkeit ist.« (S. 80)

    Was in früheren Romanen, insbesondere in ›Emma‹ und ›Mansfield Park‹, ein Tabu war – daß nämlich Lächerlichkeit unwiderstehlich sein kann und Lachen stärker als Moral –, hier wird es als Sentenz gesetzt, »gerecht oder nicht gerecht«, moralische Bedenken hin oder her. Schärfer im Ton ist Austens Humor geworden – stärker zielgerichtet ist auch ihre Satire. Zeichnen sich nämlich Austens frühere Romane gerade dadurch aus, daß jede der dargestellten sozialen Schichten ihren Anteil an komischen Charakteren hat, so spaltet sich die Welt von ›Persuasion‹ in zwei Lager: Auf der einen Seite stehen Angehörige des adligen Landbesitzes und des (Hoch-)Adels, auf der anderen Angehörige der Marine. Aus dem ersten Lager rekrutiert Austen den grotesk narzißtischen Sir Walter Elliot, dessen Lieblingslektüre sein eigener Nameim Adelsregister ist (S. 7), der sein Zimmer mit Spiegeln ausgekleidet hat und der im wörtlichen wie im übertragenen Sinne in einer Welt der kontinuierlichen Selbstbespiegelung lebt. Im Lager der adligen Landbesitzer finden sich weiter die eitle, kalte Elizabeth, die egoistisch-wehleidige Mary, Lady Dalrymple und Miss Carteret, die beinahe weniger komische Figuren als ein Nichts (die eine, die »viel lächelte und jedermann höfliche Antworten gab«, die andere, die »linkisch und unscheinbar« ist, S. 173) mit vornehmen Kleidern und Titeln sind. Dem Adel und Landbesitz zugeordnet ist außerdem noch die ebenso ehrgeizige wie zweigesichtige Mrs. Clay. Im Lager der Marine plaziert Austen dahingegen ungewöhnlich viele positive Figuren: Captain Wentworth, Admiral und Mrs. Croft, Captain und Mrs. Harville und Captain Benwick. Einzig der letztere wird ob seiner Gefühligkeit und seiner literarischen Neigungen Ziel eines – stets milden – Spotts.
    Signalisiert nun (etwa in ›Stolz und Vorurteil‹) die Streuung komischer Figuren durch alle dargestellten Schichten, daß Ticks und Manien, Eitelkeiten und Egozentrik klassenübergreifende Phänomene und eben menschlich, allzu menschlich sind, verweist die Bündelung des komischen Personals in einem bestimmten gesellschaftlichen Lager in ›Persuasion‹ auf ein neues Interesse Austens: Das Interesse, deutlicher als je zuvor Gesellschaftskritik zu üben und der kritisierten Gesellschaft einen positiven Gegenentwurf gegenüberzustellen. Die Welt des landbesitzenden Adels erscheint – in der Gestalt Sir Walter Elliots und seines Dunstkreises – als eine Welt des Hedonismus, der Selbstsucht und der Verantwortungslosigkeit: Nicht zufällig vermietet Sir Walter den ehrwürdigen alten Landsitz Kellynch Hall, ohne auch nur einen Gedanken an seine Pächter zu verschwenden. Das paternalistische Modell, nach dem ein wohlwollender Landbesitzer – wie Mr. Darcy oder Mr. Knightley – sich verantwortungsvoll um die von ihm Abhängigen kümmert, wie es etwa in ›Stolz und Vorurteil‹oder in ›Emma‹ durch die Heirat der Heldin als funktionstüchtig bestätigt wird, versagt in ›Persuasion‹ kläglich. Anne wendet sich einem Marineoffizier und mit ihm der Gemeinschaft der Marine zu. In dieser Gemeinschaft gibt es echte Menschen statt grotesk komische Figuren, hier – so affirmiert der letzte Paragraph des Romans – ist ein Ort wahrer Werte, jenes »Familiensinns« (S. 293 / 313), der den Fortbestand der Gesellschaft garantiert.
    Komik und Komödie, die weniger dem lustvollen Entlarven menschlicher Verrücktheiten dienen, als daß sie genutzt werden, einen ideologischen Standpunkt zu beziehen, eine Aussage über den Zustand der Gesellschaft zu machen – das ist in dieser Deutlichkeit ein Novum innerhalb Austens Werk. Ob ihre ungeschriebenen Romane stärker die Umwälzungen einer Gesellschaft im Wandel gespiegelt hätten, ob sie sich eindeutiger oder anders ideologisch positioniert hätten als die geschriebenen? Ihr letzter Roman läßt es vermuten, denn nicht nur vollzieht Anne am Ende des Romans einen klareren Bruch mit ihrem Elternhaus als je eine Austensche Heldin zuvor, nicht nur bricht sie im wahrsten Sinne des Wortes zu neuen Ufern auf, auch ihr moralisches Problem, die titelgebende Frage der »Überredung«, stellt sich ganz anders dar als die moralischen Probleme anderer Protagonistinnen. Während nämlich etwa in ›Verstand und Gefühl‹ oder ›Stolz und Vorurteil‹ tatsächlich verschiedene Hauptfiguren die entsprechenden Verhaltensweisen verkörpern,
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